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Gedichte für Nachtmenschen

„Tango tönt durch Nacht und Flieder“

© Die Berliner Literaturkritik, 14.07.09

MÜNCHEN (BLK) – Im Dezember 2008 erschien bei dtv „Gedichte für Nachtmenschen“, herausgegeben von Anton G. Leitner und Gabriele Trinckler. 

Klappentext: Dichter vom 18. Jahrhundert bis in die jüngste Gegenwart besingen die Nacht. Aus dem großen Fundus an Texten haben die Herausgeber Anton G. Leitner und Gabriele Trinckler für diese Anthologie die schönsten ausgewählt und entführen in eine Mondscheinwelt voll Liebe, Traum und Trunkenheit. Poetische Nachtstücke von Ani, Eichendorff, Goethe, Klabund, Marti, Morgenstern, Politycki und vielen anderen betören, verstören, berauschen oder verführen zum Tanz und laden ein, die Dunkelheit in all ihren Facetten zu erleben, denn „Tango tönt durch Nacht und Flieder“ (Klabund)!

Anton G. Leitner, geboren 1961 in München, lebt als Verleger, Lyriker und Publizist inWeßling (Landkreis Starnberg). 1992 gründete er die Zeitschrift „Das Gedicht“, die er bis heute ediert. Er wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet.
Gabriele Trinckler, geboren 1966 in Berlin, lebt seit 1999 als Lyrikerin, Herausgeberin und Verlagsangestellte in München. Sie ist Redakteurin der Zeitschrift „Das Gedicht“.

Leseprobe:

©dtv©

Karl Krolow

Handstreiche der Dämmerung

Handstreiche der Dämmerung: –
Die Radler verirren sich
Im blauen Staub des Himmels
Und kommen zu Fall.
Der Nachmittag erscheint noch einmal
Als Film auf heißen Ziegelwänden.
Passanten schütteln den Kopf
Und bekennen seinen Abschied.
Das Zwielicht macht aus einer
Entblößten Brust im Hauseingang
Ein schwarzes Idyll.
Eine rasche Bewegung zerstört es,
Während die Schatten der Abendkleider
Vorüberhuschen.
Nun kann die Nacht kommen
Und die Bilderrätsel lösen!

Alfred Lichtenstein
 
In den Abend

Aus krummen Nebeln wachsen Köstlichkeiten.
Ganz winzge Dinge wurden plötzlich wichtig.
Der Himmel ist schon grün und undurchsichtig
Dort hinten, wo die blinden Hügel gleiten.
Zerlumpte Bäume strolchen in die Ferne.
Betrunkne Wiesen drehen sich im Kreise,
Und alle Flächen werden grau und weise…
Nur Dörfer hocken leuchtend: rote Sterne – 

Sabina Naef

Dämmerung
 
die Laternen strecken
unaufhaltsam ihre Fühler aus
ein Mann hält inne
den Hut in der Hand
eine Taube hält Zwiesprache
mit dem fliehenden Tag

Gerrit Engelke

Katzen

Bleib noch länger goldnes Dämmern –
Wie wird der Tag schon matt und blauer –
Verstummt ist Lärm und Werkstatthämmern.
Die Nacht liegt auf der Lauer –
Der Schlüssel schließt die Häusertore.
Nun Wandrer meide die dunkle Mauer –
Das Licht ist aus – es klingt im Ohre –
Liegen Strolche auf der Lauer? –
Hinauf die knarrenden Windeltritte.
Die Gasse wäscht ein Regenschauer.
Bald nahen im Schlafe weiche Schritte:
Der Traum liegt auf der Lauer –

Gottfried Benn

Schöner Abend

Ich ging den kleinen Weg, den oft begangenen,
und diesen Abend war er seltsam klar,
man sah ihn schon als einen herbstbefangenen,
obschon es mitten noch im Sommer war.
Die Himmelsblüte hatte weisse Dolden,
die Wolken blätterten das Blau herab,
auch arme Leute wurden golden,
was ihrem Antlitz Glück und Lächeln gab.
So auch in mir, – den immer graute
früh her, verschlimmert Jahr und Jahr
entstand ein Sein, das etwas blaute –
und eine Stunde ohne Trauer war.

Ulrich Johannes Beil

Galaktisches Licht

Am Ende des Tages, wenn alles gesagt und fast alles
abgelegt wurde (Kleider, Haltungen, fixe Ideen),
wenn Kraft nur zum Murmeln noch bleibt, zum
Verstreuen
von Wörtern, untätigem Tun, ohne daß eine
Schaltstelle
verantwortlich wäre oder ein Dämon…
Wenn dunkle Fetzen (Schwalben? Gedanken?) um
Den Wolkenkratzer
spuken und ein Jet sie gelassen durchstreicht:
Sag noch einmal etwas Verbindliches! Oder sag mir
jemand,
der es weiß! Es ist die Stunde, da das Blau schwarz und
schwärzer wird, da alles abrutscht, während du gern
etwas
festhalten würdest, und sei es ein Quentchen Schmerz,
klar umrissen wie eine Hostie oder ein Aspirin,
aber noch im Liegen gleitest du, gleitet es unter dir,
dieses Stück Boden scheint nicht verläßlich genug, um
deine vier
Gliedmaßen einzuzeichnen, das Signal, daß es dich
einmal hier gab –
mich, uns, euch –, des Mikrokosmos eingebildete
Erben.
Die Silhouette der Stadt, nachts: als seien heimlich
Ufos gelandet, monströses Gerät, unnahbar fremd
dem,
was vor Zeiten hier lebte (Flechten, Schmetterlinge,
Schlingpflanzen).
Mit galaktisch gepunktetem Licht offenbaren sie
ihre astrale Komplizenschaft – und oben, zwischen
Antennen,
zeigen die roten Warnlampen an, daß hier zu wohnen
letztlich dem Aufenthalt in einem Grab gleicht.
Was jetzt noch übrig ist, hat das Recht, für sich zu sein.
Der von der Hochhauskante durchschnittene Blitz.
Die Frau im Fensterspalt,
den Büstenhalter lösend. Das zu den Rändern hin
verfärbte Blatt Papier. Ich lasse sie so, wie sie gerade
sind.
Stecke einen Bezirk ab, der weiß bleibt.

Arno Holz

In einen brennenden Abendhimmel,
aus Staub und Dunkel,
steigt der Dom.
Die Glocken läuten.
Die kleinen Linden stehen schwarz,
vor ihren Türen sitzen alte Leute.
Feierabend!
Die Gassen schweigen.
Die Glut erlischt,
am Himmel
leise
ziehn die ewigen Sterne auf.

Otto Julius Bierbaum

Gegen Abend
(Herrn Felix vom Rath zugeeignet.)

Nun hängt nur noch am Kirchturmknopf
Der letzte Sonnenschein;
Bald werden auch die Höhen
Ganz ohne Sonne sein.
Und Silberglanz dann überall;
Des Mondes blasses Licht
Umschüttet unsre Laube,
Umleuchtet dein Gesicht.
Der Mond, das Licht der Küsse,
Das alles zaubrisch macht:
Komm, Nacht, mit deinen Gnaden,
Du liebereiche Nacht! 

Jürgen Kross

verlöre im raum. bewegung
der
luft sich. rauschend
der nacht zu. und sinkend
dort
unter die wipfel.

Christian Morgenstern

Abenddämmerung

Eine runzelige Alte,
schleicht die Abenddämmerung,
gebückten Ganges
durchs Gefild
und sammelt und sammelt
das letzte Licht
in ihre Schürze.
Vom Wiesenrain,
von den Hüttendächern,
von den Stämmen des Walds,
nimmt sie es fort.
Und dann
humpelt sie mühsam
den Berg hinauf
und sammelt und sammelt
die letzte Sonne
in ihre Schürze.
Droben umschlingt ihr
mit Halsen und Küssen
ihr Töchterchen Nacht
den Nacken

©dtv©

Literaturangabe:

LEITNER, ANTON G. und TRINCKLER, GABRIELE (Hg.): Gedichte für Nachtmenschen. dtv, München 2008. 144 S., 4, 90 €.

Weblink:

dtv


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