Von Gianna Maria Behrendt
BERLIN (BLK) – Wer ist Herta Müller? Die Öffentlichkeit reagierte verhalten, als die Schwedische Akademie im Oktober bekannt gab, dass der diesjährige Nobelpreis für Literatur der deutsch-rumänischen Schriftstellerin gebühre. „Herta Who?“, fragte die US-Zeitschrift „Entertainment Weekly“ und klagte darüber, dass amerikanische Autoren wie Philip Roth, Thomas Pynchon oder Joyce Carol Oates erneut leer ausgingen. Marcel Reich-Ranicki wehrte ab, Günter Grass zeigte sich überrascht. Doch Herta Müller gehört schon lange zu den wichtigen Autoren im internationalen Literaturbetrieb. In Werken wie „Der Fuchs war damals schon der Jäger“ (1992), „Herztier“ (1994) und „Heute wär ich mir lieber nicht begegnet“ (1997) verarbeitete die im deutschsprachigen Banat geborene Autorin düstere Erinnerungen an das Ceausescu-Regime in Rumänien. Die Schwedische Akademie in Stockholm würdigte Herta Müllers Vermögen, „mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit“ zu erzeugen.
Geboren am 17. August 1953 in Nitzkydorf / Rumänien gehörte Herta Müller zur nationalen Minderheit der Deutsch sprechenden Banater Schwaben. Erst mit 15 Jahren lernte sie die rumänische Sprache. Das kommunistische Regime enteignete den Großvater, einen wohlhabenden Kaufmann, und deportierte die Mutter zu jahrelanger Zwangsarbeit. Nach dem Abitur studierte Herta Müller von 1973 bis 1976 Germanistik und Rumänische Literatur in Temeschwar. Ihre Arbeit als Übersetzerin in einer staatlichen Maschinenbaufabrik verlor Müller, als sie sich weigerte, mit dem rumänischen Geheimdienst Securitate zusammenzuarbeiten. Anschließend war Müller als Kindergärtnerin und Deutschlehrerin tätig. In den 1980er Jahren begann sie mit dem Schreiben. Die Zensur ihres ersten Buches „Niederungen“ (1982) sowie diverse Verhöre und Hausdurchsuchungen bestärkten Herta Müller in dem Wunsch, Rumänien zu verlassen. 1987 entfloh sie dem jahrelangen politischen Druck und siedelte mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Richard Wagner, nach West-Berlin über.
Auf den Tod des rumänischen Diktators Nicolai Ceausescu reagierte Müller mit Prosatexten wie „Der Fuchs war damals schon der Jäger“ (1992) oder „Der Wächter nimmt seinen Kamm“ (1993). Auch mit ihrem autobiographisch anmutenden Roman „Herztier“ (1994) konfrontierte sie die Leser in Westeuropa mit Nachrichten aus der Angstwelt des Kommunismus. Der Roman „Heute wär ich mir lieber nicht begegnet“ (1997) schildert ein Verhör. Herta Müllers Texte kreisen um den Terror der kommunistischen Diktatur. Im Mittelpunkt steht die Repression, die sich in dem von Angst und Anpassung geprägten Alltag artikuliert. Besonders der Essayband „Der König verneigt sich und tötet“ (2003) enthüllt die Fertigkeit Müllers, grausame Erscheinungen der Diktatur in eine bestürzend schöne Sprache zu hüllen. Herta Müller ist sich dem politischen Fundament ihres Schaffens bewusst. Sie schreibt gegen das Vergessen.
Texte wie der Prosaband „Reisende auf einem Bein“ (1989) entäußern die Erfahrung von Entwurzelung und Heimatlosigkeit der Rumäniendeutschen. Den Großteil ihres Werkes verfasste Herta Müller auf Deutsch. Doch einer Ambivalenz kann sie sich nicht entziehen: „Wenn ich versuche, Deutschland zu begreifen, stoße ich notgedrungen auf mich selbst. Darin unterscheide ich mich von den Menschen, die immer schon in Deutschland gelebt haben. Wodurch ich mich unterscheide, das ist der Zwang, auf mich hier und auf mich in einem zurückgelassenen Land gleichzeitig zu stoßen.“
Im August 2009 veröffentlichte Herta Müller den Roman „Atemschaukel“, der den Alltag in einem sowjetischen Arbeitslager nach dem Zweiten Weltkrieg schildert. Grundlage des Romans ist die Zusammenarbeit mit dem 2006 verstorbenen Schriftsteller Oskar Pastior, der das Schicksal der deutschen Bevölkerung Siebenbürgens teilte. Die Deportation der eigenen Mutter bleibt Herta Müller als Kindheitserinnerung. Und wieder liegt das Absonderliche des Romans in der akribischen Präzision der Sprache, die dem beklemmenden Lageralltag Authentizität verleiht und ihn gleichsam in seinem Schrecken zu erfassen vermag. „Atemschaukel“ war als Gemeinschaftsprojekt Müllers und Pastiors vorgesehen. Den Roman ohne Pastior fertig zu stellen, sei ihr schwer gefallen, gesteht Herta Müller: „Denn ich musste in den Tod von Oskar Pastior hineinschreiben. Er hat mir so gefehlt, ich habe um diesen Verlust so sehr getrauert. Andererseits hat mir das auch Kraft gegeben.“ Und so bleibt Herta Müller ihrem Motto treu: Gegen das Vergessen.