Ich gesteh’ es: Als eines der schönsten „Potsdamer-Platz“-Bilder von Ernst Ludwig Kirchner aufgrund eines womöglich voreiligen Deals von seinem Platz in einem Berliner Museum verschwand und kurz darauf bei einer Versteigerung außerhalb der deutschen Grenzen für einen hohen Millionenbetrag zugeschlagen wurde, war ich wütend. Dabei weiß ich doch, dass das Thema „Beutekunst“ so vergiftet ist, wie ein Kadaver. Nicht nur haben russische (auch englische und amerikanische) Truppen zahllose Kunstwerke nach dem Krieg weggeschleppt und die „Beute“ internationalen Verabredungen zum Trotz nur manchmal zurückgegeben. Vor allem auch deutsche Soldaten und „Fachleute“ in allen „besetzten Gebieten“ taten dies, wann immer es dem „Führer“ oder Göring, oder dem „Einsatzstab Rosenberg“ gefiel. Jüdischer Besitz wurde ohnedies beschlagnahmt.
Die Folgen kennen wir, Anwälte wurden in Brot gesetzt und Regierungskommissionen bemüht, um begangenes Unrecht womöglich zu heilen. Da sind Wunden zurückgeblieben, nicht alle sind inzwischen, mehr als sechzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, vernarbt, auch nicht alle Streitigkeiten beigelegt. So lange die steinalte Museumsdirektorin Antonowa in Moskau lebt, wird sich, was die nach Russland verbrachten Museumsschätze betrifft, bestimmt nichts bewegen, und später vermutlich auch nicht viel.
Vielleicht ist dies der Beginn einer neuen „Beutekunst“-Politik, die übrigens in kleinerem Rahmen und in Einzelfällen „auf unterer Ebene“ bereits funktioniert.
Doch es gibt, wenn schon nicht für Bilder, so doch für Bücher, im zwischenstaatlichen Bereich Anzeichen für einen „Ausgleich“: Russische und deutsche Experten reden schon längere Zeit ganz offiziell miteinander, daraus ist die „Deutsch-Russischen Bibliotheksinitiative“ entstanden, die im September 2009 besiegelt wurde: Bestände deutscher Bibliotheken, etwa die der berühmten Königsberger „Wallenroth-Bibliothek“, die nach dem Krieg nach Russland, Polen und Litauen verbracht wurden, und die auch für diese Länder wissenschaftlich bedeutsam sind, sollen nun katalogisiert und der Forschung in Ost und West wieder zugänglich gemacht werden. Es besteht zudem die begründete Hoffnung, dass diese Bestände mindestens als CD’s auch wieder nach Deutschland kommen. Wir sehen daran: Nicht nur „Google“ ist imstande, Bücher zu digitalisieren und ins Netz zu stellen.
Das heißt: Diese und andere als Beutekunst beschlagnahmte Bibliotheken werden Allgemeingut mehrerer Nationen. Nur wer die „Aura“ alter Bücher (oder Noten) für unverzichtbar hält, wird weiter trauern. Mir scheint es wichtiger zu sein, dass das Verlorene überhaupt wieder greifbar wird. Für Bibliotheken ist diese „Initiative“ immens wichtig. Sie schlägt eine Bresche in die seit Jahrzehnten mit dem Stacheldraht von Besitzansprüchen und Siegerrechten versperrten Zugänge zu dem, was übrig geblieben ist. Und schließlich sollten wir nicht vergessen: Den Krieg haben nicht „die Anderen“ angefangen, und es sind nicht nur deutsche Kulturwerte dabei vernichtet worden!
Vielleicht ist dies der Beginn einer neuen „Beutekunst“-Politik, die übrigens in kleinerem Rahmen und in Einzelfällen „auf unterer Ebene“ bereits funktioniert: Nämlich den öffentlichen Zugang zu sichern, ganz gleich, wo die Stücke (Bilder, Bücher) sich heute befinden.
Dass Sieger den jeweils Unterlegenen auch kulturelle Güter entwendeten, das ist ja durch Jahrhunderte Brauch gewesen, jedes große europäische Museum zeugt davon. Immerhin: was die Bibliotheken betrifft, so können Forscher wie Liebhaber sich demnächst weite Reisen nach Russland oder Polen sparen: Sie bekommen alle Texte originalgetreu auf den heimischen Bildschirm, können damit arbeiten, als lägen sie als Bücher vor ihnen. Dass dies möglich wurde, verdankt sich auch der Beharrlichkeit etwa der Sächsischen sowie der Preußischen Staatsbibliothek. Beide haben in geduldiger Arbeit Vertrauen aufgebaut und Wege eröffnet. Für die Bilder wird allerdings nach wie vor eine Reise in die Eremitage von St. Petersburg oder die Tretjakow-Galerie in Moskau nötig sein. Immerhin sind dort die meisten ausgestellt und nicht mehr in unzugänglichen Depots weggeschlossen. Geht doch!