Von Leonhard Reul
„Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus.“ So beginnt Schuberts Liederreigen „Winterreise“. Das große Unzugehörigkeitsgefühl des rastlosen Wanderers teilen Eva Steffens (Hg.) Gastautoren deutscher Herkunft und österreichischen Wohnsitzes nicht. Sie haben sich in Wahlösterreicher verwandelt, sie bleiben gerne und der Wiener Czernin Verlag lässt sie erzählen. Vom Lebens- und Liebenswerten, vom Befremdlichen, vom Belächelten in dieser für sie Heimat gewordenen Lebenswelt. Der schmale Band mit knapp über 150 Seiten streift viele Themen, die in ihrer Skurrilität alltäglich, respektive in ihrer Alltäglichkeit (für deutsche Leser) skurril sind. Es geht um Sprache, Titel und Orden, Alkohol, Wirtshauskultur, Wiener Arroganz und Kaffee, Theater, Autofahren, Titelsucht, Zeitungen, Selbstgerechtigkeit und immer wieder Wien.
Dass Wien so oft Erwähnung findet braucht nicht wundern. Denn wie fast alle der nach den jugoslawischen Zuwanderer größten Immigrantengruppe – ja das sind wir, die Deutschen, die Piefkes! – leben auch die meisten Autoren in dieser charmanten Stadt (die dieses Jahr Zürich hinter sich ließ und in Hinblick auf Lebensqualität in einer berühmten Studie nur noch Vancouver unterliegt). Dort arbeiten sie meist als Kulturschaffende, viele (das ist etwas schade) beim „Falter“ (schade, nicht weil der Falter ein schlechtes Blatt wäre, sondern weil sich so eine gewisse Gesinnung und auch ein Aspekt – die Sprache – allzu oft im Buche wiederholt) oder im Theater.
Die Intendantin des Tiroler Landestheaters (das ist schön am Buch, die nachgereichten Kurzbiografien: wer schreibt denn da eigentlich) Brigitte Fassbaender ist auf diese Wiener Melange (im Wortsinn Mischung– nicht: Milchkaffee!) des Wiener Kulturbetriebs nicht gut zu sprechen. Denn (nicht nur) ihrer Meinung nach bildet sich ein ganz eigner Dünkel bei den Wiener Kunstschaffenden und (manchmal noch mehr) bei den Wiener Kunstrezipienten (und das ist praktisch fast jeder in der Zweimillionenstadt): alles was in der Provinz, „in den Bundesländern“ zur Aufführung kommt ist per se weniger wert als das in Wien Gebotene (einzig attestierte Ausnahme: Salzburg, aber da halt auch nur zu Festspielzeiten).
Aber zurück zum Deutschsein in Wien. Dem macht es die an sich einende Sprache also schwer, sie trennt regelrecht (in allen die Sprache thematisierenden Artikeln -bis auf einen- wird diese Sentenz Karl Kraus zugeschrieben). Der Deutsche ist auf Anhieb erkannt und wird seiner Herkunft entsprechend anders als der Österreicher behandelt. Eine eigentümliche verdeckte Form der „Sonderklasse“ (so nennt das Gesundheitssystem Österreichs übrigens den Privatpatienten im Spital, pardon: Krankenhaus) steht ihm bevor.
Ganz besonders wenn er wie im Buche beschrieben im Wirtshaus nach Fruchtsaft- oder Wein-„Schorle“ und dazu Bratwurst oder Fisch natur verlangen sollte. Denn derlei kennen die, dieser Spruch muss sein, „Selbstmörder mit Messer und Gabel“ (Erwin Ringel, geachteter österreichischer Psychotherapeut und Suizidforscher) nicht. Dafür bieten sie zum „Spritzer“ allerlei Paniertes, was gleichfalls mundet. Meistens sogar viel besser ist als das deutsche Vergleichsprodukt. Wenn es dann zum Zahlen geht und der „Herr Ober“ dem „Herrn Magister“ seine Rechnung bringt schwingt ein wenig die Titelfreudigkeit durch, die in Österreich noch immer hochlebt. Ordnungsprinzipien werden hier recht gerne erhalten.
Einige Autoren fühlten sich unter anderem beim Thema der Titel- (und Amts-) Devotheit bemüßigt, den österreichischen Minderwertigkeitskomplex zu zitieren, selbstgefällig zu analysieren oder gar schadenfroh zu präsentieren. Das ist einer der Schwachpunkte des ansonsten vergnüglichen und aufschlussreichen Buches. Denn so gut das Buch für den offenen (und das darf man der Leserschaft des Czerninverlags unterstellen) Österreicher ist, weil es ihm zeigt, wie mitunter der „große Bruder“ unter ihm, dem „Kleinen“ leiden muss – so schlecht ist es für den Vorurteilsanfälligen, weil jeder Artikel auch als (Gegen-)Angriff der so oft (wirklich nur „im Schmäh“ also im Unernst?) Angegriffenen gelesen werden kann. Und mit der selbstbewussten Weise mit der eine nicht assimilierte deutsche Lebensform im Kultur- und Naturgunstraum Österreich propagiert wird, kann so ein Leser sicher auch nicht viel anfangen. Die Frage, wer eigentlich dieses Buch mit welchen Gewinn kaufen soll bleibt offen: Die deutsche Exilantengruppe (zum Zustimmen)? Der Österreicher, der seinen (nun sogar Wohnungs-) Nachbar über sich derart reden hören mag? Im unklar Bleibenden, im Wagnischarakter liegt wiederum das Optimistische, sowohl der deutschen Autoren als auch der österreichischen Herausgeber: wir sind reif genug für dieses Buch, wir öffnen uns füreinander, wissen nun was wir voneinander halten und erwarten.
Sollten wir 92 Jahre nach Hugo von Hofmannsthals Polemik „Der Preuße und der Österreicher“ durch Steffens Buch ein bisschen anders, vermischter voneinander denken, dann wäre doch schon ein großer Schritt hin zur Völkerverständigung getan. Also, Feuer frei für Hugo und das deutsch-österreichische (Misch-) Wesen: „Der Preuße: Unvergleichlich in der geordneten Durchführung. Handelt nach Vorschrift. Stärke der Dialektik. Größere Gewandtheit des Ausdrucks. Mehr Konsequenz. Selbstgefühl. Behauptet und rechtfertigt sich selbst. Selbstgerecht, anmaßend, schulmeisterlich. Drängt zu Krisen. Unfähigkeit, sich in andere hineinzudenken. Gewollter Charakter. Streberei. Der Österreicher: Traditionelle Gesinnung, stabil fast durch Jahrhunderte. Rascher in der Auffassung. Mehr Balance. Mehr Fähigkeit, sich im Dasein zurechtzufinden. Selbstironie. Scheinbar unmündig. Bleibt lieber im Unklaren. Weicht den Krisen aus. Hineindenken in andere bis zur Charakterlosigkeit. Schauspielerei. Genusssucht. Ironie bis zur Auflösung.“
Literaturangabe:
STEFFENS, EVA (Hg.): Wir sind gekommen, um zu bleiben. Deutsche in Österreich. Czernin Verlag, Wien 2009. 168 S., 15,90 €.
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