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Genug Mut für ein Buch

Ein Gespräch mit der Züricher Autorin Esther Spinner

© Die Berliner Literaturkritik, 05.03.10

HAMBURG (BLK) - Die im Westen Zürichs lebende Autorin Esther Spinner publizierte mehrere Bücher und gibt Schreibunterricht. Ihr neuester Roman „Lamento“ führt in den Süden und zur Frage, was mit einem passiert wenn der Tod Freundschaften beendet. Aber nicht nur das. Ein Gespräch.

Esther Spinner, Ihre Bücher „Die Spinnerin“ (1981) und „ Meine Mutter hat meinem Vater mit einer Pfanne das Leben gerettet“ (1996) sind Literaturinteressierten noch in guter Erinnerung. In all den Jahren verändert man sich und sein Schreiben. Gibt es eine Art Fortentwicklung in der eigenen Sprache?

Esther Spinner: Ja, das gibt es. Schreiben ist Handwerk und lässt sich, wie jedes Handwerk, weiterentwickeln. Heute ist mir viel klarer, was sich mit Sprache alles tun lässt, bis hin zur Manipulation. Meine ersten Texte waren schnelle, atemlose Texte. Meine Sprache ist im Laufe der Jahre poetischer geworden, bilderreicher und wohl auch ein bisschen langsamer.

„Lamento“ heißt Ihr aktueller Roman, der sich nicht nur mit Liebe, Freundschaft und Verlust beschäftigt, sondern auch mit dem Süden. Sardinien ist ein wichtiger Ort nicht nur in Ihrem Roman, sondern generell für Ihre Tätigkeit als Autorin. Wie hat sich das ergeben?

Mit etwa 30 wurde mir klar, dass ich nun genug Mut gesammelt hatte, um ein Buch zu schreiben. Dass ich dies nicht in einer Zürcher Wohngemeinschaft tun konnte, schien mir auch klar. Der Süden sollte es sein, auch aus finanziellen Gründen, denn damals lebte man in Sardinien deutlich günstiger. Ich kannte Sardinien von einer Ferienreise her, und das Land hatte mich fasziniert. So zog ich denn los mit der Schreibmaschine im Gepäck und blieb acht Monate. In dieser Zeit entstanden „Die Spinnerin“ und die Freundschaften, die mich bis heute mit Sardinien verbinden.

Sardinien ist auch bekannt für seine Ländlichkeit mit archaisch gebliebenen Lebensstrukturen, wenn man von den Tourismusorten absieht. Schlummert in Ihnen auch etwas Sehnsucht nach dem einfacheren Leben?

Sardinien ist meine Gegenwelt, in die sich natürlich allerhand hineinträumen lässt. Das ländliche Sardinien unterscheidet sich vielleicht nicht so sehr vom Appenzell, aber es unterscheidet sich von meiner Zürcher Welt. Die Zeit vergeht langsamer, das Licht ist heller, das Leben scheint einfacher, weil ich keinerlei Verpflichtungen habe, nichts Unerledigtes stapelt sich auf dem Schreibtisch, kein Amt erwartet eine Antwort. In dem Sinne habe ich Sehnsucht nach dem einfacheren Leben.

Schwerpunkt in dem Roman ist die Liebe, die Freundschaft und vor allem der Umgang mit der Trauer nach einem Verlust. Hat Literatur heilende Kräfte? Wenn ja, eher beim Lesen und Schreiben?

Das Wort hat heilsame Kraft. Das erkannten schon die Gebrüder Grimm, die dem Wort mehr Kraft zusprachen als dem ‚Stein oder Kraut’. Das Aussprechen ist heilsam und das Aufschreiben und natürlich auch das Lesen, das anregt, über das Eigene nachzudenken. Wie erlebe ich Verlust und Trauer, geht es mir gleich oder anders? Lesen regt an, eigene Worte zu finden, löst erzählen aus und auch schreiben. Damit verlegt man das Innere nach Aussen, man kann es ansehen, wieder lesen oder wegwerfen. Arbeitet man mit den spontanen Texten, gibt man ihnen eine Form, hilft das gegen das Überschwemmt werden von Gefühlen, die auch eine ‚Form’ bekommen. Dieser Prozess ist heilsam.

Sie geben auch Schreibkurse nicht mit literarisch definierten Zielen, sondern auch mit dem Anspruch, das Leben übers Schreiben anders zu erfahren. Wie setzt sich Ihre Kundschaft zusammen?

Vor allem Frauen besuchen meine Schreibkurse, einige Kurse schreibe ich explizit für Frauen aus. Ein einzelner Mann fühlt sich oft nicht wohl in der Gruppe, und wird manchmal auch als Störfaktor erlebt. Das eigene Leben schreibend zu erkunden, Erlebnisse aufzuschreiben aus einer ungewohnten Perspektive: das macht den Teilnehmerinnen Freude und ermutigt sie, ihr eigenes Leben zu leben.

In „Lamento“ beschreiben Sie Beobachtungen, sie reflektieren Fragen und Gefühle in Worten, die berühren. Was wäre für Sie das Leben, ohne es beschreiben zu können?

Schreiben hilft mir, Abstand zu nehmen, einen Schritt zurückzutreten und das Geschehen, das, was ich erlebe, neu zu betrachten. Das ist zugleich eine Art Lebenshilfe. Zudem liebe ich die Sprache und das, was sich mit ihr anstellen lässt. Sätze zu verändern, Wörter zu suchen – sei es in einem Prosatext oder in einem Anagramm – daraus besteht mein Leben. Und aus Wörterbüchern. Kein Tag vergeht, ohne dass ich in Wörterbüchern lese, woher Wörter kommen, was Redensarten für eine Geschichte haben, wie sich Wörter im Laufe ihres Lebens verändern. Mein Leben ist ein Wörterleben.

Esther Spinner, beschreiben Sie doch konkret Ihren Schreibort.

Mein wichtigster Schreibort ist mein kleines Haus in Norditalien: ein Zimmer mit einem Tisch, schräg zum Fenster, ein Schrank an der einen Wand, gegenüber ein Büchergestell. Hier sitze ich und schaue auf den schmalen Durchgang zwischen den Nachbarhäusern und bin überzeugt, dass dahinter das Meer liegt. Alles ist offen, ich bin zeitlich nicht gebunden, das Meer gibt mir die nötige Weite, am Schrank hängen Notizen und eine Art Zeichnungen, die Zusammenhänge darstellen – das ist mein Schreibort.

Vielen Dank und wir freuen uns auf Ihr nächstes Buch.

(Interview: Urs Heinz Aerni)

Literaturangabe:

SPINNER, ESTHER: Lamento. Edition 8, Zürich 2008. 192 S., 17,90 €.

Weblink:

edition8

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