Von Irena Güttel
BREMEN (BLK) — „Ruth Werblowsky“ steht in zarter Schnörkelschrift im Innern des Buches. „Gewidmet anlässlich der Schulentlassung, Hannover im März 1938 vom Vorstand der Synagogen-Gemeinde.“ Viele Jahrzehnte schlummerte das jüdische Gebetbuch unbemerkt in den Regalen der Universitätsbibliothek in Bremen, bis eine pensionierte Oberstudienrätin es fand und der ehemaligen Besitzerin zurückgab. Das war 2001. Nun ist das Büchlein für kurze Zeit noch einmal in die Bibliothek zurückgekehrt. In einer Ausstellung erinnert es von Donnerstag an ein Unrecht der Nazi-Zeit: Die Enteignung der Juden.
Im Bestand der Bremer Uni-Bibliothek befinden sich rund 1.500 Bücher von deutschen Juden. „Bei etwa 300 ist es uns gelungen, die ehemaligen Eigentümer zu ermitteln. In den allermeisten ist jedoch kein Namensvermerk drin“, erzählt Bibliothekarin Silke Raßloff. Die Bücher hatte die Bibliothek zu Beginn der 40er Jahre auf Auktionen erworben, bei denen öffentliche Stellen ein Vorkaufsrecht genossen. Dort wurde der Besitz von Juden versteigert, die aus Deutschland ausgewandert waren. Die Gestapo beschlagnahmte damals einfach deren Umzugskisten, die noch in Bremerhaven auf die Verschiffung warteten.
„Viele der Bücher hatten vor allem einen persönlichen Wert“, sagt Raßloff. Doch auch kleine Schätze sind darunter zu finden, wie die Ausstellung zeigt. In einer Vitrine ist zum Beispiel ein Gebetbuch aus dem Jahr 1897 mit Goldschnitt und Perlmutteinlagen zu sehen. Daneben liegt eine weitere Kostbarkeit: Ein aufwendig gestaltetes Büchlein mit getrockneten Blumen aus dem heiligen Land. „Das waren Fachleute in der Bibliothek, die wussten was sie kauften“, erklärt Anke Winsmann, Fachreferentin für Publizistik. Für die Experten waren die Auktionen eine wunderbare Gelegenheit, ihren Bestand kostengünstig zu erweitern oder Kriegsschäden auszugleichen.
„Lange Jahre hat sich die Bibliothek gesträubt, sich diesem Thema zu stellen — wie andere Einrichtungen auch“, erklärt Winsmann. Erst als 1991 ein Forscher auf die Bücher stieß, beauftragte der Senat die Oberstudienrätin Elfriede Bannas deren Herkunft zu ermitteln. In mühevoller Fleißarbeit wühlte sich die Rentnerin durch die dicken Zugangsbücher, glich die Daten mit dem Staatsarchiv ab und fand so einige der früheren Eigentümer. „Dass die Zugangsbücher so gut erhalten sind, ist ein Glücksfall. Das haben andere Bibliotheken nicht“, sagt Raßloff. Schätzungen zufolge stehen eine Million geraubte Bücher in deutschen Bibliotheken. Doch nicht überall ist das schwierige Erbe so gut aufgearbeitet wie in Bremen. Die Uni Göttingen kündigte zum Beispiel erst kürzlich an, ihre Bestände danach durchforsten zu wollen.
Doch auch in der Hansestadt kommt die Rückgabe der Bücher nur schleppend voran. „Manchmal steht in ihnen zum Beispiel drin: ,Zum 30. Geburtstag, dein Bruder’. Das hilft uns natürlich nicht viel“, erläutert Raßloff. Bei den ehemaligen Eigentümern oder ihren Nachfahren könnte das jedoch anders aussehen. Deshalb hat Raßloff jeden einzelne Titel in eine spezielle Online-Datenbank eingetragen, die nach Schlagwörtern oder den in den Büchern vermerkten Familiennamen durchsucht werden kann. Außerdem ließ sie jeden handschriftlichen Eintrag scannen und mit den Datensätzen verknüpfen. Das soll die Suche nach den rechtmäßigen Besitzern erleichtern.
Gute Chancen errechnet sich Raßloff für einen dicken Medizin-Wälzer, der sich auf einem Regal im Keller an 30 weitere Bände reiht. „Hier lag ein kleiner Zettel drin mit dem Praxisstempel des Arztes — aus Berlin, Kaiserdamm 4“, sagt die Bibliothekarin. „Der wird vielleicht noch gefunden.“