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Gibt es die Liebe?

Abschiedsbriefe von prominenten und weniger prominenten Frauen

© Die Berliner Literaturkritik, 24.01.12

Diese Rezension erschien erstmals am 23. Juni 2006 in diesem Literaturmagazin.

BERG, SIBYLLE (Hrsg.): „Und ich dachte, es sei Liebe“. Abschiedsbriefe von Frauen. Deutsche Verlagsanstalt, München 2006, 223 S., 17,90 €.

Von ANETT KRAUSE

Der Liebe als Idee standen die Erzählerinnen der in Zürich lebenden Schriftstellerin, Kolumnistin und Theaterautorin Sibylle Berg immer sehr skeptisch gegenüber. Dabei erzählen ihre Texte von ganz verschiedenen Menschen, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie von etwas träumen. Es ist diese irrsinnige Idee von der großen Liebe, die zu dekonstruieren das zentrale Thema der Berg-Werke ist. Die Autorin meinte es in der Vergangenheit meist nicht besonders gut mit ihren Protagonisten.

Der Mensch als gescheitertes Experiment

In ihrem vor Zynismus nur so strotzenden Debüt „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ irren die austauschbaren Protagonisten auf der Suche nach dem großen Glück in der großen Liebe durch die Welt. Sie begegnen sich an schlechten Orten und laufen immer aneinander vorbei; am Ende sind sie, wie es der Titel bereits ankündigt, fast alle tot. Die Erzählerin lässt nicht den geringsten Zweifel daran, dass dies die einzig denkbare Lösung ist. Und so ging es weiter nach einem schriftstellerischen Durchbruch, der Sibylle Berg manch zweifelhaftes Label verlieh –  als „Übermutter der deutschen Literatur“ oder „gewalttätigster Lidstrich Deutschlands“ wurde sie betitelt. Der Nachfolger „Sex II“ erzählt in atemberaubenden, slapstick-artigen Textcollagen vom ganz normalen Irrsinn einer Großstadt, in der sich Perversionen und Grausamkeiten, Einsamkeit und Leid, Hässlichkeit und Kälte die Klinke in die Hand geben. Und auch hier hat die namenlose Erzählerin nichts für ihre Mitmenschen übrig, die ihr als völlig seelenlose Hüllen begegnen, hastig den großen Ideen und großen Lieben hinterher eilend und immer scheiternd.

Das, was Bergs Helden antreibt, ist immer die Idee von etwas Größerem, Besserem, Ganzvollerem. In „Amerika“ scheitern ihre Figuren an der irrsinnigen Idee, dass das Leben an einem anderen Ort einen besseren Menschen aus ihnen machen könnte. „Das Unerfreuliche zuerst. Herrengeschichten“ erzählt vom Scheitern erstmals ausschließlich männlicher Protagonisten und in „Ende gut“ geht gleich die ganze Welt unter; die Erzählerin befindet: „Das ist das Beste, was mir jemals passiert ist“. Kein Zweifel: In der Welt der Sibylle Berg ist der Mensch nicht mehr als ein gescheitertes Experiment. Denjenigen, die sich dieser Einsicht verweigern, gucken ihre Texte beim Scheitern über die Schultern. Nur wenige Schriftsteller sind dabei so gekonnt grausam zu ihren Figuren. Mitleid? Keine Spur, nirgends.

Vielfältige Möglichkeiten des Abschiednehmens

Nun also der neueste Coup, und der konnte eine das literarische Werk der Autorin seit langem verfolgende Leserin doch arg verwundern. Die Zynikerin Berg, die vor nicht allzu langer Zeit noch Reime wie „Liebe macht gar keinen Sinn. Aus Hormonen schnell geboren ist der Mist nicht ausgegoren“ verfasste, hat jetzt hat einen Sammelband mit Abschiedsbriefen von Frauen veröffentlicht. Unter dem ungewohnt schwülstigen Titel „Und ich dachte, es sei Liebe“ verabschieden sich in drei Kapiteln ganz unterschiedliche Frauen von großen oder kleinen Lieben. So kommen im ersten Teil berühmte Frauen zu Wort, Schriftstellerinnen wie Else Buschheuer oder Sylvia Plath, die mexikanische Malerin Frida Kahlo und die Schauspielerin Marlene Dietrich. „Von Jahrhunderten und wie man sich irren kann“ erzählt das zweite Kapitel, in dem sich beispielsweise Königin Elisabeth I. von Prinz Erik von Schweden verabschiedet, Lou Andreas-Salomé ihre Beziehung zu Rainer Maria Rilke beendet oder Virginia Woolf ihrem späteren Mann erklärt, warum sie ihn nicht heiraten möchte. Ein Aufruf auf der Homepage der Herausgeberin und verschiedene Zeitungsanzeigen hatten schließlich „ganz normale Frauen“ aufgefordert, ihre persönlichen Abschiedsbriefe einzuschicken; eine Auswahl davon versammelt der dritte Teil.

Die Zusammenstellung der Texte ist gelungen, wortmächtige und nahezu poetische Briefe sind ebenso dabei wie kühle Verabschiedungen oder bitterböse Beschimpfungen. Dass die Formen des Verabschiedens ebenso vielfältig sind wie die des Liebens kann der Band ebenso zeigen, wie er einen Eindruck von all dem Leid vermittelt, durch das die Frauen wieder und wieder gegangen sind. Die Briefe erzählen von Missverständnissen, unerfüllten Erwartungen, Eifersucht und immer wieder von der großen Trauer über die Erkenntnis, dass etwas, was für so groß und besonders gehalten wurde wie die Liebe, einsam, depressiv und mutlos macht.

Die verderbliche Kraft der ersten Liebe

Und damit sind wir dann auch wieder beim eigentlichen Thema der Sibylle Berg angelangt, denn natürlich erzählen auch die Briefe vor allem vom Scheitern. In den kurzen Texten der Herausgeberin, die den einzelnen Kapiteln vorgeschaltet sind, entfaltet Sibylle Berg ihre inzwischen etwas modifizierte Beziehungstheorie. Die allererste Liebe sei es, die uns verdorben habe. Seitdem hätten wir unsere Unschuld verloren und stattdessen lieber komische Ideen von der einen, echten und vor allem großen Liebe entwickelt. „Denken wir, es muss sein wie fliegen und sich die Sachen vom Leib reißen und sich nie mehr trennen und nicht mehr essen und nicht mehr schlafen und nachts tanzen im Regen und tausend Kilometer fahren nur für einen Kuss, der nie endet. Das ist die Idee, und sie meint: „Eigentlich wollen wir zurück zu der Zeit, als wir eins mit der Mutter waren. Bedingungslosigkeit wollen wir, danach suchen wir und werden immer enttäuscht werden. Denn so ist es nie,“ schreibt die Herausgeberin, die es nach eigenem Bekunden weiß, denn auch sie hat so oft am Ende einer Liebe gelitten.

Und was sollen wir also stattdessen tun? Nach Frau Bergs ganz sicher gut gemeintem Rat sollen wir endlich begreifen, dass die Liebe das ist, was bleibt, wenn die hochgewirbelten Emotionen langsam in seichtere Gewässer zurück gefunden haben und alle Hormone wieder in durchschnittlicher Menge an ihrem Platz sind. Was bleibt, sieht in der Regel weder aus wie Brad Pitt noch fliegt es jede Woche tausende von Kilometern für einen Kuss von uns. Im Normalfall ist es auch kein strahlender Prinz, der die Welt erobert, um sie uns zu Füßen zu legen. Im Gegenteil: „Es ist klein und vertraut, es ist freundlich und hat einen dicken Bauch. Geliebt werden ist: jemand erträgt dich.“

Ergo: Große Gefühle, durchweinte Nächte, verlorene Kilos und die unzähligen Tage und Wochen, die sinnlos vor dem Telefon wartend vergingen, sind grundsätzlich in Ordnung. Doch ab einem bestimmten Alter – das will Frau Berg aber niemandem vorschreiben – sollte frau dann begriffen haben, dass diese Phase auch einmal überwunden werden muss. Mit dieser Erkenntnis sei es dann auch ganz leicht, neues Vertrauen in die Liebe zu fassen. Denn wer eine Beziehung wolle, so Frau Bergs, der finde auch eine. Wahrscheinlich sieht die nur anders aus als die in vielen schlaflosen Nächten zusammenphantasierte. Im besten Fall ist sie einfach viel kleiner, weniger strahlend und – jetzt kommt das böse Wort – ziemlich normal.

Kein Mitleid, nirgends.

Das ist nun aber wirklich ziemlich grausam, und im Grunde setzt Frau Berg damit ihre bekannte Strategie fort: Kein Mitleid, nirgends. Doch wenn man die Texte der Herausgeberin ebenso ernst nimmt wie die vielen Briefe der Frauen, ist ein Widerspruch schwerlich zu übersehen: Jeder einzelne Brief nämlich erzählt auch von der Weigerung, sich von der Idee der großen Liebe zu verabschieden. Ganz egal, ob Else Buschheuer schreibt: „Stirb, Schrecklicher! Erlöse mich! Hau ab, verpiss dich, fahr zur Hölle. Und wenn du dort bist – warte auf mich.“ oder Miriam L. begreift, dass sie sich trotz allem weiterhin in dem Gefühl suhlen will, dass „du DER Mann gewesen wärst“; keine der Frauen wollte aufhören zu glauben, dass diese eine große strahlende Liebe irgendwo auf sie wartet. In diesem Lichte gesehen straft jeder einzelne Brief, den Sibylle Berg für „Und ich dachte, es sei Liebe“ ausgewählt hat, ihre eigenen Worte Lügen. Gott sei Dank.

Und so können wir gespannt auf den nächsten Roman der Autorin warten. Ob sie uns dann zeigt, was bleibt, wenn die Idee von dem oder der Einen endlich therapiert oder anderweitig bewältigt ist? Wir werden sehen.


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