Von Marco Gerhards
Wenn man ungewöhnliche, dennoch umso sinnvollere Zitate in modernen akademischen Büchern findet, sollte man dies auch anderen Menschen mitteilen; vielleicht um sie zur Anschaffung des Buches zu animieren oder um Ihnen die große Bedeutung dieser Sentenz zu verdeutlichen. Im „Handbuch der Religionen“ findet sich unter dem Kapitel „Schamanismus“ eine solch nennenswerte Aussage: „Strenggenommen ist der Schamanismus keine Religion, sondern ein Ganzes von ekstatischen und therapeutischen Methoden, die alle das eine Ziel verfolgen, den Kontakt herzustellen zu jenem anderen parallel existierenden, jedoch unsichtbaren Universum der Geister.“ Ja, das passt, das ist kohärent, kenntnisreich und fernab jener, mehr als häufigen, abschätzigen Meinung über all das, was die Vernunft des aufgeklärten Bürgers nicht versteht.
Theologen und Religionswissenschaftler haben seit mehreren hundert Jahren ein christliches Stigma wie eine unliebsame Klette an ihren Überlegungen haften, mit der eine vorurteilsfreie Beschreibung anderer Glaubenssysteme so gut wie unmöglich ist. Mircea Eliade, der berühmte rumänische Wissenschaftler und Philosoph, machte da von Anfang an eine Ausnahme, noch heute beruft sich eine ganze Tradition parapsychologischer (um diesen fruchtbaren, aber leider so häufig genutzten Begriff für nicht mit der Vernunft zu erklärende Phänomene) Interessierter und Forscher auf diesen Mann. Neben wichtigen akademischen Leistungen, schrieb er auch Romane, die in ähnlicher Weise auf das religiöse Thema zu sprechen kamen.
Der nach dem Krieg in Paris und später in Chicago lebende und lehrende Vorzeigereligionswissenschaftler starb im April 1986 in Illinois. Seine letzte wissenschaftliche Leistung liegt in der Übereinkunft mit Ioan Petru Culianu, einem Landesgenossen, dem er die Zusage gab, Großteile seiner bisher veröffentlichen religionswissenschaftlichen Arbeiten in dem, just im Verlag der Weltreligionen wieder neu aufgelegten, „Handbuch der Religionen“ zu verwenden. So haben wir es hier also mit Elias Grundlagen und Culianus Umsetzung zu tun; einem Klassiker, der wahrscheinlich in jeder Bibliothek geisteswissenschaftlicher Akademiker steht.
Alle Religionen, die denkbar und bekannt sind, sind nüchtern und gewinnbringend vorgestellt, mit wichtigen Literaturhinweisen versehen und zumeist in der entsprechenden Weitsichtigkeit präsentiert, die im obigen Zitat deutlich wurde. Einzig die nicht ganz so fesselnde Darstellungskraft Culianus, der sich nach Eliades Tod für das Redigieren verantwortlich zeigte, und die überproportionale Seitenanzahl für die Beschreibung von Juden- und Christentum im Vergleich zu allen andere Religionen stören, aber sind verglichen mit allen anderen Werken auf dem Markt dennoch ein Segen – im wahrsten Sinne des Wortes.
Zu dieser erhöhten Kraft und dem Verständnis des Magischen passt die rätselhafte Ermordung Culianus, der Eliades Lehrstuhl 1986 in Chicago übernahm, nur fünf Jahre später. Darüber gibt es eigens einen Roman, der eine kommunistische Verschwörung hinter dem Verbrechen sieht. Fest steht, dass beide Herausgeber, Eliade posthum und Culianu Zeit seines Lebens, ein verständnisvolles und kohärentes Weltbild glaubensgeschichtlicher Bilder gezeichnet haben, die in einer aufgeklärten, beschränkten bürgerlichen Moderne so selten zu finden sind und umso mehr hervorgehoben werden sollten.
Literaturangabe:
ELIADE, MIRCEA/CULIANU, IOAN P.: Handbuch der Religionen. Verlag der Weltreligionen, Berlin 2010. 430 S., 16 €.
Weblink: