Von Birgitta von Gyldenfeldt
KIEL (BLK) – „Erneuerer der niederdeutschen Literatur“, „blutiger Militarist“ oder „genialer Abenteuerschriftsteller“ sind nur einige der Urteile über einen heute der breiten Bevölkerung eher unbekannten Schriftsteller. Sein Name: Gorch Fock (1880-1916). Zu seiner Zeit ein Bestsellerautor, kennen die meisten Menschen heute seinen Namen nur noch wegen des gleichnamigen Segelschulschiffs. Eine Ausstellung in Kiel folgt jetzt den Spuren Gorch Focks und gibt von Dienstag (22.6.) an einen Überblick über Leben, Werk und Wirkung.
Geboren wird Gorch Fock als Johann Kinau am 22. August 1880 auf der Insel Finkenwerder bei Hamburg. Sein Vater, Heinrich Kinau, verdiente als Seefischer sein Geld, so wie viele andere auch damals auf Finkenwerder. Für den kleinen Johann war klar: Wenn ich groß bin, will ich auch Fischer werden und zur See fahren. Doch als er 14 Jahre alt war, zerstörte sich dieser Traum, erzählt der Kurator der Kieler Ausstellung, Rüdiger Schütt. Sein Vater nahm ihn mit auf seinem Schiff, quasi als Eignungstest. Johann bestand ihn nicht, er wurde seekrank und außerdem war er zu schwach für die harte Arbeit an Bord, lautete das Fazit.
Er musste sein geliebtes Finkenwerder verlassen und ging in Geestemünde (heute zu Bremen gehörend) in eine Krämerlehre. Er fand später bei der Hamburg-Amerika-Linie, dem Vorgänger der heutigen Hapag-Llyod, eine Festanstellung. Doch die Seefahrt und die Sehnsucht nach seiner Heimatsprache ließen den jungen Mann nie los und so begann er eine Art Doppelleben zu führen: Tagsüber saß er als Johann Kinau brav bei Hapag am Schreibtisch und abends verfasste er als Gorch Fock Texte, erst für Zeitungen und dann später auch in Buchform. Auch drei Theaterstücke für seinen Bekannten Richard Ohnsorg, den Gründer des gleichnamigen Theaters, schrieb der verheiratete Mann und Vater zweier Kinder.
Thema seiner Werke ist immer wieder die Seefahrt, so auch in seinem berühmtesten Buch „Seefahrt ist not“. In dem Buch, das zum Bestseller avanciert und zu Weihnachten 1912 in den Buchläden liegt, beschreibt Kinau das Leben der Hochseefischer auf seiner Heimatinsel. „Mit dem Buch wurde er über Nacht bekannt“, sagt Schütt. Die Hamburger Schulbehörde bestellte 5000 Stück und verteilte sie an die männlichen Schüler der Hansestadt, Gorch Fock wurde zu Vorträgen eingeladen und sollte sogar zum Geburtstag von Kaiser Wilhelm II. eine Rede halten.
Als 1914 der Krieg ausbrach, meldete er sich freiwillig. Er war in Serbien und in Verdun und im März 1916 erfüllte sich für den Mann, der von seinem Vater als nicht-seetauglich befunden worden war, ein Traum: Er wurde zur Marine versetzt. „Man sagt, dass Hamburger Prominenz sich für ihn eingesetzt hat, damit er seinen Traum erfüllen kann“, sagt Kurator Schütt. Doch war der nur von kurzer Dauer: Gleich die erste Fahrt des Kreuzers „Wiesbaden“ ging in Richtung Skagerrak. Hier wurde Gorch Fock in die erste und einzige Seeschlacht des Ersten Weltkriegs verwickelt - und starb am 31. Mai. Sein toter Körper trieb längere Zeit in der Schwimmweste über das Meer, bevor er in Schweden an den Strand gespült wurde.
„Sofort nach seinem Tod setzte die Glorifizierung Gorch Focks ein“, sagt Schütt. Die Nationalsozialisten vereinnahmten den Schriftsteller als einen der ihren und stilisierten ihn zum Vorkämpfer ihrer Sache. Hilfe erhielten sie dabei von Johann Kinaus Brüdern, erzählt Schütt: Sie haben nach 1933 nationalistische Aussagen aus seinen Tagebüchern zusammengestellt und die „einzige“ Passage aus 20 Tagebüchern herausgesucht, wo Gorch Fock Juden kritisiert. Seine Bücher wurden neu aufgelegt und „passgenau in die Ideologie der Nazis eingepasst“. Sein Werk habe das auch nicht schwer gemacht, da es viele patriotische Textstellen gibt.
Es sei vor allem diese NS-Rezeption seines von Heldengestalten durchsetzten Werkes, die eine unvoreingenommene Beschäftigung mit Gorch Fock erschwert, heißt es im Begleittext zur Ausstellung. Und vielleicht ist das auch der Grund, warum der Schriftsteller heute selbst kaum noch bekannt ist. Sein Name allerdings lebt fort: Im Segelschulschiff, einer Metallband in Austin/Texas und in Mettwurst und Aquavit.
BLK-Notizblock:
Ausstellung, Universitätsbibliothek, Leibnizstraße 9, Kiel
Öffnungszeiten 22. Juni bis 13. August: Montag-Freitag 9.00 bis 22.00 Uhr, Samstag, 9.00 bis 20.00 Uhr, Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Eintritt frei
Begleitbuch zur Ausstellung: „Gorch Fock - Mythos, Marke, Mensch. Aufsätze zu Leben, Werk und Wirkung des Schriftstellers Johann Kinau (1880-1916)” (Hrsg. von Rüdiger Schütt, Nordhausen 2010)