LÜBECK (BLK) - Günter Grass hat Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) aufgefordert, ihm Einsicht in seine westdeutschen Geheimdienstakten zu gewähren. Er habe den nicht unbegründeten Verdacht, dass der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz über Jahrzehnte Material über ihn gesammelt hätten, sagte der Literaturnobelpreisträger am Dienstag (16.03.) in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur dpa. Bei Auslandsveranstaltungen in Goethe-Instituten mit ihm sei über viele Jahre eifrig mitgeschrieben worden, sagte Grass. Nachdem seine Stasi-Akte jetzt als Buch („Günter Grass im Visier – Die Stasi-Akte“) erschienen sei, wolle er auch die Unterlagen der westdeutschen Geheimdienste lesen.
„Ich möchte eine gesamtdeutsche Sicht haben.“ Das wäre für ihn interessant, „denn ich glaube, dass die Informantensprache im Bundesnachrichtendienst sich in manchen Bereichen nicht wesentlich von dem unterscheidet, was in der DDR zu Papier gekommen ist“. Seinen im Februar geschriebenen Brief habe Leutheusser-Schnarrenberger bisher nicht beantwortet, sagte Grass.
Der Autor (82) war fast 30 Jahre bei seinen DDR-Besuchen von der Stasi auf Schritt und Tritt bespitzelt worden, von 1961 bis 1989. Die von dem Journalisten Kai Schlüter herausgegebene Dokumentation will Grass auf der Leipziger Buchmesse am 19. und 20. März gemeinsam mit Schlüter und dem Verleger Christoph Links vorstellen. Als Grund, warum er der Publikation zustimmte, sagte er: „Wenn es sich nur um mich gehandelt hätte, hätte der Stoff für eine Veröffentlichung vermutlich nicht ausgereicht.“ Aber da sich in diesen 30 Jahren ein Stück deutsch-deutsche Literaturgeschichte widerspiegele, „nahm ich an, dass ein Buch mit diesem Inhalt interessierte Leser finden würde“.
Auf die Frage, ob die Stasi versucht habe, ihn zum Beispiel mit Frauengeschichten zu erpressen, meinte der Schriftsteller: „Anlass hätte ich bestimmt geboten, aber die Stasi hat es nicht getan. Es wäre auch vergeblich gewesen. Ich stehe zu meinen Frauengeschichten.“ Es sei ein Fehler des Westens gewesen, die Stasi-Dokumente als „Die Wahrheit“ anzusehen. Es werde in den Dokumenten deutlich, welch unbedarfte Menschen zu den Spitzeln gehörten. Zudem müsse man sich auch immer fragen: Aus welchen Gründen wurde jemand Spitzel? Manche hätten sich im Alltag der DDR in Anführungszeichen „etwas zuschulden kommen lassen“ – Wirtschaftsvergehen, einen Seitensprung – und sich erpressen lassen. (dpa/sch)