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Grass: Jetzt auch BND-Unterlagen öffnen

„Ich hoffe, dass nicht weiterhin Schwarz-weiß gedacht wird“

© Die Berliner Literaturkritik, 17.03.10

Von Stephanie und Matthias Hoenig

Fast 30 Jahre ist der Schriftsteller Günter Grass bei seinen DDR-Besuchen von der Stasi auf Schritt und Tritt bespitzelt worden. Jetzt ist die von Kai Schlüter herausgegebene Dokumentation „Günter Grass im Visier – Die Stasi-Akte“ erschienen, die der Literaturnobelpreisträger gemeinsam mit Schlüter und dem Verleger Christoph Links auf der Leipziger Buchmesse am 19. und 20. März vorstellt. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur dpa fordert der 82-Jährige Einsicht auch in die von ihm vermuteten Unterlagen vom Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz über seine Person: „Ich möchte eine gesamtdeutsche Sicht haben.“

Wie ist das Buch entstanden?

Grass: „Ich stellte fest, dass meine Stasi-Akte einen fast 30 Jahre langen Zeitraum abdeckt, von 1961 bis 1989. Ich sprach darüber mit dem Redakteur Kai Schlüter von Radio Bremen, und wir hatten die Idee eines Hörfunkfeatures. Von diesem Feature und von dem Material erzählte ich bei einer Veranstaltung im Berliner Ensemble dem Verleger Christoph Links, der sehr interessiert war, eine Dokumentation daraus zu machen. Ich habe nur kurz überlegt. Wenn es sich nur um mich gehandelt hätte, hätte der Stoff für eine Veröffentlichung vermutlich nicht ausgereicht. Aber da sich in diesen 30 Jahren ein Stück deutsch-deutsche Literaturgeschichte widerspiegelt, nahm ich an, dass ein Buch mit diesem Inhalt interessierte Leser finden würde.“

Wie erklären Sie sich die massive Stasi-Beschattung?

Grass: „Einfluss auf DDR-Autoren, möglicherweise sie zum Ausreisen zu drängen, habe ich nie zu nehmen versucht. Insofern war es eher aus einer Hysterie heraus, eine Konspiration witternd, eine mich verblüffende und mit ungeheurem Aufwand vollzogene Überwachung. Dass man mich als Lockvogel zum Ausleuchten möglicher Dissidenten benutzt hat, trifft nur auf eine private Lesung vor Berliner Ärzten in den 1970er Jahren zu. Alles andere war von Initiativen ost- und westdeutscher Autoren ausgegangen. Und dabei versuchte der Staatssicherheitsdienst Einblicke zu gewinnen. Das ist bei den Lesungen mit den Schriftstellern in den Ost-Berliner Privatwohnungen nicht gelungen, wohl aber bei öffentlichen Veranstaltungen.“

In der Dokumentation fällt auf, dass es praktisch keine privaten Aspekte gibt. Hat die Stasi nicht versucht, sie erpressbar zu machen, etwa durch Frauengeschichten?

Grass: „Anlass hätte ich bestimmt geboten, aber die Stasi hat es nicht getan. Es wäre auch vergeblich gewesen. Ich stehe zu meinen Frauengeschichten.“ (lacht)

Sie haben sich nicht vereinnahmen lassen, weder vom Westen noch vom DDR-Regime, sondern „zwischen den Stühlen getanzt“, wie sie kürzlich sagten. Macht das nicht einsam?


Grass: „In der Literaturgeschichte gab es viele Autoren, von den Humanisten über die Zeit der Aufklärung bis zur Gegenwart, die ins Abseits gestellt wurden, die in vergleichbaren Situationen waren. Ein Gefühl von Einsamkeit ist da nicht aufgekommen.“

Sie sagten lange, Sie wollten nicht in die Akten schauen, weil Sie schon zu viele Freunde verloren haben. Haben Sie nach der Lektüre noch mehr Freunde verloren?

Grass: „Nein, aber es gab einige, bei den ich mich schon gewundert habe – offenbar Überzeugungstäter, ich spreche von Hermann Kant und Manfred Wekwerth. Die haben vermutlich aus dogmatischer Verengung heraus gehandelt und aus der Meinung, dass ihr Staat schützenswert sei und geschützt werden müsste. Aber dann sind sie noch ein Stück weitergegangen. Dass sie jemanden bespitzeln, der aus dem Westen kommt, um Sabotage zu betreiben, das ist eine Sache. Schriftstellerkollegen zu bespitzeln, das ist schon ein weitergehender Schritt. Das ist eine Frage, die ich gern Hermann Kant direkt stellen möchte, was ihn dazu bewogen hat, später auch als Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes.“

Haben Sie Kontakt mit Kant oder Wekwerth?

Grass: „Nein. Ich war 1990, als Kant gedrängt wurde, aus dem Schriftstellerverband und dem PEN-Club auszutreten, anderer Meinung als manche Schriftsteller. Ich hätte gerne weitergestritten mit ihm.“

Welche Reaktion erhoffen Sie sich vom Publikum auf der Leipziger Buchmesse?


Grass: „Der Verfasser Kai Schlüter hat, was auch meine Meinung ist, deutlich gemacht, dass es ein Fehler des Westens war, diese Stasi-Dokumente als ‚Die Wahrheit’ anzusehen. Es wird in den Dokumenten deutlich, welch unbedarfte Menschen zu den Spitzeln gehörten und wie oft sie, so zum Beispiel der Leipziger Reclam Verleger Hans Marquardt, um dem Führungsoffizier zu gefallen, Dinge erfunden oder aufgebauscht haben. Man muss sich auch immer fragen: Aus welchen Gründen wurde jemand Spitzel? Ich nannte schon einige, die es aus Überzeugung gemacht haben, Kant zum Beispiel, ich nehme an, auch Wekwerth. Andere hatten sich im Alltag der DDR ‚etwas zuschulden kommen lassen’ - Wirtschaftsvergehen, einen Seitensprung - und haben sich erpressen lassen.“

Welche Erkenntnis sollte das Buch für den weiteren Umgang mit Stasi-Akten befördern?

Grass: „Ich hoffe, dass nicht weiterhin Schwarz-weiß gedacht wird, sondern die Grautöne wahrgenommen werden. Dass also die Lektüre hilft, in der Beurteilung dieses komplexen Vorganges zu differenzieren. Denn nach dem Untergang der DDR wurden die Akten vom Westen so wahrgenommen, dass die restlichen Bewohner der DDR – 17, 18 Millionen Menschen – insgesamt unter Stasi-Verdacht gerieten. Und das widerfuhr einer Bevölkerung, die gleichzeitig die Härten der Wiedervereinigung zu ertragen hatte mit Arbeitslosigkeit, mit all den Unsicherheiten, die aufkamen – eine schreckliche Geschichte. Gut 20 Jahre danach ist es für manche zu spät. Wir wissen, dass Leute, die unter Verdacht geraten sind, sogar in den Selbstmord getrieben wurden und hinterher stellte sich heraus, dass es nicht der Rede wert war. Ich hoffe, dass das aufhört.“

Könnten noch weitere Stasi-Akten über Sie auftauchen?


Grass: „Mir hat Kai Schlüter erzählt, dass in Dresden und anderswo immer wieder Sachen entdeckt werden. Aber ich vermute, dass kaum neue Erkenntnisse dazukommen, sondern nur das Material angereichert wird. Doch all das ist nur eine Teilansicht. Es ist eine nicht ganz unbegründete Vermutung von mir, dass auch beim Bundesnachrichtendienst, beim Verfassungsschutz – bei den Organen, die wir in der Bundesrepublik haben – über Jahrzehnte Material über mich gesammelt wurde. Das wäre für mich interessant, denn ich glaube, dass die Informantensprache im Bundesnachrichtendienst sich in manchen Bereichen nicht wesentlich von dem unterscheidet, was in der DDR zu Papier gekommen ist.“

Sind Sie denn vom BND oder Verfassungsschutz observiert worden?

Grass: „Das weiß ich nicht. Mir ist nur aufgefallen, dass bei Auslandsveranstaltungen, die ich an Goethe-Instituten gemacht habe, in Diskussionen mit mir eifrig mitgeschrieben wurde - und das über Jahrzehnte. Nur ein Beispiel: Mitte der 1980er Jahre haben Stefan Heym, also ein DDR-Autor, und ich bei einer Diskussion in Brüssel uns Gedanken gemacht: Was geschieht eigentlich, wenn die Mauer fällt? Wir haben also zu einem relativ frühen Zeitpunkt darüber gesprochen – und wieder wurde eifrig mitgeschrieben. Prompt gab es 14 Tage später im Parlament die Anfrage: Wie kommt das Goethe-Institut dazu, diesen ‚Nestbeschmutzer’ bezahlt aus Steuermitteln reden zu lassen?“

Können Sie denn über BND-Material Auskunft verlangen?


Grass: „Ich habe im Februar an Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) geschrieben mit der Bitte um Ergänzung, aber noch keine Antwort erhalten. Ich möchte eine gesamtdeutsche Sicht haben.“

Ist es Ehre oder Fluch, im Fadenkreuz der Geheimdienste zu stehen?

Grass: „Es ist eine Gegebenheit. Ich kann nur noch mal hinweisen auf die deutsche Geistesgeschichte seit Metternich. In dem wunderbaren Buch ‚Tallhover’ von Hans Joachim Schädlich geht es um einen Agenten, der aus der Metternich-Zeit bis in die DDR-Zeiten hinein unsterblich dem einen und dem anderen Verfassungsschutz dient. Ein Teil solcher Spitzelleute sind ja auch übernommen worden nach dem Ende der DDR. Auch der CIA hat sich nach 1945 aus dem Nazi-Apparat bedient. Immer wieder gab es fließende Übergänge. Es macht keinen Sinn, dass wir uns aufs demokratische hohe Ross schwingen und mit dem Finger auf Diktaturen zeigen, die in einer übertriebenen Angst leben vor dem geschriebenen und gedruckten Wort. Aber der Westen ist nicht frei davon gewesen, von McCarthy angefangen – wenn ich nur ans 20. Jahrhundert denke – bis in die Gegenwart hinein.“



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