HAMBURG (BLK) - Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass (82) vermisst bei seinen jungen Schriftsteller-Kollegen die Bereitschaft, sich zu politischen Themen zu äußern. „Finanzkrise, Kinderarmut, Abschiebepraxis, das Auseinanderdriften in Reich und Arm: Das sind Themen, zu denen jüngere Autoren eine Haltung entwickeln und verlautbaren sollten“, sagte Grass in einem Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. „Sie sollten nicht die Fehler der Weimarer Republik wiederholen und sich in privater Distanz halten.“ Die Intellektuellen hätten einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung der Demokratie in Deutschland geleistet. „Es gibt leider Anzeichen dafür, dass dieser Beitrag abreißt“, sagte Grass, dessen neues Buch „Grimms Wörter“ in diesen Tagen erscheint.
Auf einem i-Pad könne er sich sein neues Werk kaum vorstellen, sagte Grass. Er habe mit seinem Verleger abgesprochen, „dass keines meiner Bücher dafür freigegeben wird, bevor ein die Autoren schützendes Gesetz wirksam wird“. Niemand könne aber wohl die Entwicklung hin zum Lesen auf dem Computer aufhalten, räumte der Schriftsteller ein. Dabei würden die Mängel des elektronischen Verfahrens bereits beim Schreiben eines Manuskripts offenkundig: „Im Computer sieht ein Text immer irgendwie fertig aus, auch wenn er es längst nicht ist. Das verführt.“
Das Buch wird auch im digitalen Zeitalter seinen Platz haben, glaubt Grass. „Es wird eine andere Wertigkeit bekommen. Die Massenproduktion wird sich reduzieren, und das Buch wird wieder das Ansehen eines aufbewahrenswerten, vererbbaren Gegenstandes erlangen.“
In seinem neuen Werk „Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung“ beschäftigt sich Grass mit den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm, die im 19. Jahrhundert ein umfassendes „Deutsches Wörterbuch“ begonnen hatten. Das Buch beschließt den autobiografischen Zyklus von Grass, zu dem auch die Bücher „Beim Häuten der Zwiebel“ und „Die Box“ zählen. Die Brüder Grimm hätten sein Schaffen beeinflusst, erzählte Grass. „Ich bin mit Grimms Märchen aufgewachsen.“ Der Däumling lebe in der Figur des Oskar Matzerath in der „Blechtrommel“ fort. Auch Jacob und Wilhelm spielten in vielen Manuskripten eine Rolle.
Grass hatte 1999 den Literaturnobelpreis erhalten. Im Nachhinein hält er diese Auszeichnung für „weniger wegweisend“ in seinem Leben als den Preis der Gruppe 47 (ein 1947 gegründeter Kreis deutscher Schriftsteller) im Jahr 1958. Diese Auszeichnung, so Grass, „wurde von Kollegen vergeben und hatte daher ein ganz anderes Gewicht“. Außerdem sei er damals „arm wie die Kirchenmaus“ gewesen. (dpa/kor)