Werbung

Werbung

Werbung

Grégoire Bouillier über sich

Ein augenzwinkernder Blick aufs Leben

© Die Berliner Literaturkritik, 31.05.10

Von Susanna Gilbert-Sättele

Grégoire Bouillier hat mit „Ich über mich“ eine außergewöhnliche Romanbiografie geschrieben. Verliebt in seine Heimatstadt Paris, schildert er seine Kindheit mit einer hypersensiblen, leicht neurotischen Mutter in einer kleinen Pariser Wohnung, in der auch noch sein Vater und sein Bruder Platz finden mussten. Die Frage der Vaterschaft allerdings wurde nie genau geklärt, denn selbst seine Mutter kann nicht sagen, ob nun ihr Ehemann oder ihr früherer Liebhaber, ein Assistenzarzt in Algerien, Grégoires Erzeuger ist. Und darauf ist seine „Maman“ auch noch stolz. Bouillier beschreibt all dies geistreich und erfrischend. Selbst von den traurigsten Dingen seines Lebens berichtet er mit Humor.

Der 1960 in Algerien geborene und heute in Paris lebende Bouillier legt in schonungsloser Offenheit die Irrungen und Freuden seines Lebens offen. Dabei seziert er auch sein eigenes Intimleben und outet seinen Bruder als Homosexuellen. In der Welt der Fantasie fühlt sich Grégoire am wohlsten. In einem Schulaufsatz beschreibt er einmal den Basar von Marrakesch mit seinen berauschenden Gerüchen und farbenfrohen Szenerien und erhält dafür die beste Note in der Klasse. Nur: Grégoire war nie in Marrakesch, und seinen Geruchssinn hat er schon früh verloren.

Als geborener „Traumulus“, der er als Schüler, als Jungverliebter oder später als Angestellter einer Agentur ist, rüttelt ihn das Leben mitunter kräftig durch. Folglich schreibt er in alle Gazetten, die er in öffentlichen Räumen findet, und die stets nur über das Schlimme in der Welt berichten, seine eigenen positiven Kommentare.

„Wenn ich schon nicht den Ehrgeiz habe, aus der Masse herauszustechen, so wollte ich zumindest nicht Teil von ihr sein“, lautet die Lebensphilosophie des jungen und älteren Grégoire. So hält der dreizehnjährige Pariser Schüler wenig davon, der von allen Jungen angebeteten Beatrice die Tasche zu tragen, worum sie ihn gebeten hat. Ihr strahlendes Lächeln geschenkt zu bekommen, ist zwar erstrebenswert, aber nicht um den Preis hündischer Unterwerfung.

Berückend sind die Passagen über seine ersten Empfindungen für Frauen und seine aufkeimende Sexualität: Grégoire ist neun Jahre alt, als er sich mit seinen Eltern in der Wohnung von Bekannten in der Rue Marbeuf aufhält, einem Haus, in das das Appartement seiner Familie zehnmal hineinpassen würde. Dort, am Ende eines kleinen Ganges, stößt er eine Tür auf, und sieht seine Gastgeberin mit dem Rücken zu ihm stehend, nackt: „Ein hinreißender Anblick. Ich habe noch nie etwas Schöneres gesehen.“

Den Heranwachsenden bezaubert die schneeweiße Haut, das kastanienbraune, anmutig auf die Schulter fallende Haar, die golden schimmernde Wellenlinie der Wirbelsäule. „Sie ist wunderbar“, schwärmt der Schüler über diesen verbotenen Einblick in das Intimleben seiner Gastgeber. Und er stellt in Erinnerung an die Szene fest, dass nur die aufgeklärte Bourgeoisie – und dies auch nur bisweilen – solche Prachtexemplare hervorbringt.

In Frankreich ist Bouillier, der stets augenzwinkernd und mit französischem Charme schreibt, inzwischen zum Geheimtipp bei den Lesern avanciert. Dort erhielt er den Prix de Flore des Pariser Café de Flore. Das Café, in dem bereits Jean-Paul Sartre Stammkunde war, ist eine Institution in der Seine-Metropole.

 

Literaturangabe:

BOUILLIER, GRÉGOIRE: Ich über mich. Verlag Nagel & Kimche, München 2010. 200 S., 15,90 €.

 

 

Weblink: Nagel & Kimche

 

 


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: