Von Constanze Schmidt
MÜLHEIM AN DER RUHR (BLK) – Es ging schon halb auf Mitternacht und feuchte Nachtkälte kroch in das „Rollende-Road-Schau-Zelt“ am Ufer der Ruhr, als großer Beifall die Uraufführung von René Polleschs „Tal der fliegenden Messer“ feierte. Erst spät am Samstagabend (7. Juni 2008) hatte die Premiere des ersten Teils der „Ruhrtrilogie“ begonnen, die als erstes Projekt des Kulturhauptstadtprogramms bereits auf die Kulturhauptstadt RUHR.2010 verweist.
Der Autor und Regisseur René Pollesch, der in der Vergangenheit bereits zweimal mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet worden war und in Mülheim eine zweite künstlerische Heimat hat, startete damit die Ruhrtrilogie als Koproduktion der Volksbühne Berlin mit dem Ringlokschuppen Mülheim und der Ruhr.2010 GmbH. Direkt an der Ruhr steht das Zelt, das wie die Wagenburg eines Zirkus anmutet und nur einer übersichtlichen Zahl von Zuschauern auf schlichten Plastikstühlen Platz bietet (Bühne: Bert Neumann).
René Polleschs Theater steht für Fragestellungen, die um Alltagsprobleme, prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse und die entfremdete Sprache selbst kreisen. Als brillantes intellektuelles Meta-Theater geschätzt und gefürchtet, bieten Polleschs Inszenierungen aber stets auch Spielfreude, Komödie, ironische Überzeichnung und improvisatorische Momente.
In Mülheim geht es um ein Striplokal, das von skurrilen Typen bevölkert ist und zu wenig Gewinn abwirft. Sechs Darsteller, drei Frauen und drei Männer, stellen das wechselnde Personal dar, tauschen gelegentlich auch die Rollen und sind in fieberhafter Bewegung. Eine Videoleinwand in der Mitte überträgt, was sich nicht auf der Bühne, sondern im Garderobenwagen oder draußen vor dem Zelt und auf der Ruhr abspielt. Die oftmals nur angedeutete Handlung folgt dem Nachtclubchef Cosmo Vitelli, der in Geldnot ist, Wettschulden macht und in Konflikt mit einem chinesischen Buchmacher gerät. Schließlich gibt es eine Schießerei und einen Bauchschuss. Das Ende bleibt mehr oder weniger unklar.
„Es gibt keine Geschichte!“ ruft tatsächlich gegen Ende des Abends Volker Spengler als Hohepriester des höheren Theorie-Unsinns ins Zelt hinein. Da aber ohnehin die Sprache, die vor allem aus atemlos aneinandergereihten Theorietexten besteht, die eigentliche Hauptrolle spielt, fällt der Mangel an äußerer Logik wenig ins Gewicht. Schnoddrige Alltagsätze unterbrechen jedoch die schwer zu verfolgenden Textströme und sorgen für ironische Brechung.
Das parodistische, mit enormem Körpereinsatz arbeitende Spiel der grandiosen Akteure unterstreicht diesen Eindruck der Verfremdung noch. Trashige Halbwelt-Optik zwischen Zirkus, Varieté und Rotlichtbezirk sorgt zudem zuverlässig für Stimmung. Leider franst der Abend am Ende zusehends aus, die Textbausteine wiederholen sich und die Probenzeit reichte offensichtlich nicht, denn die Schauspieler haben immer häufiger Texthänger, so dass die Souffleuse einspringen muss. Fazit: ein streckenweise erhellender, oft amüsanter Abend. Aber weniger wäre mehr gewesen.