Scheit, Gerhard / Svoboda, Wilhelm: Treffpunkt der Moderne. Gustav Mahler, Theodor Adorno und Wiener Traditionen. Verlag Sonderzahl, Wien 2010. 251 S., 19,90 €.
Von Monika Thees
Gustav Mahler ist „durchgesetzt“ – er wird allwärts aufgeführt und auf CDs gepresst. Warum ihn verteidigen? Man muss schon in der Atmosphäre Wiens aufgewachsen sein und leben, um das zu verstehen. Und den Zorn der Kultur- und Musikwissenschaftler Gerhart Scheit und Wilhelm Svoboda, um das Buch „Treffpunkt der Moderne. Gustav Maler, Theodor W. Adorno und Wiener Traditionen“ zu begreifen, das den falschen (weil falsch gespielten) Mahler polemisch angreift. Sie führen darin ihr Buch „Das Feindbild Mahler“ fort.
„Es ist daran zu erinnern, dass Wien nicht nur der Ort war, den Mahler verlassen hat, weil er ‚das Gesindel’ nicht mehr aushielt, wie er 1907 schrieb; wo die Avantgarde des Antisemitismus über die Moderne triumphierte, um schließlich im ‚Anschluss’ ans Dritte Reich ganz zu sich selbst zu kommen. Wien war zugleich – wenn auch oft nur im Verborgenen, abgeschnitten vom offiziellen Kulturbetrieb – Treffpunkt der Moderne, an dem sich Mahlers spätromantisch genannte Musik als Bruch mit der Romantik zu erkennen gab, damit als Bruch mit einer Gesellschaft, die in der Musik Legitimation für die Katastrophenpolitik finden wollte, auf die sie zusteuerte.“
Diesem „Treffpunkt“ und einer Analyse des Mahler’schen Werks gilt dies Buch. Als Wegweiser dienen dabei Theodor W. Adornos zahlreiche Schriften über Mahler und die „Wiener Schule“: Schönberg, Berg, Webern, die von Scheit und Svoboda ausführlich zitiert werden (wobei die Kürze der jeweiligen Zitate freilich deren Sinn manchmal verdunkelt, weil ihnen der jeweilige Zusammenhang fehlt, den nur kundige Adorno- und Mahler-Adepten jederzeit herstellen können). Es ist ein Buch für „Kenner“, die immer wieder zustimmend nicken werden, und es bedarf des Interviews mit der zeitgenössischen Komponistin Olga Neuwirth, um dies (ein wenig) zurechtzurücken. „Deshalb wollte ich mich jetzt auch nicht festlegen, ob ich das, was Adorno sagte, jetzt gut finde, oder nicht. Ich möchte nicht von einer unhinterfragten Doktrin ausgehen, die mir vorgibt, wie ich zu denken oder zu komponieren habe.“
Doch wer selbst nicht komponiert, der wird in den Analysen Adornos in der Tat Anweisungen finden, Mahler besser zu begreifen, vor allem das Katastrophische, das dieser Musik eingeschrieben ist als Vorschein dessen, was später geschah. Für Adorno ist diese Musik eine offene Wunde, die richtig gesehen (also aufgeführt und gelesen) eher Erschrecken als unverbindlichen Genuss auslöst. Diese musikalischen Analysen, die sich auch auf Schönberg, Berg, Webern beziehen, sind der Versuch, die Moderne vor einer allzu leichtfertigen Historisierung zu retten. Die hat „damals“, wie Adorno schreibt, bereits angefangen: „Schroffheiten delikat zu modellieren, das ‚kämpferische’ Moment aufzulösen, das lyrische gegenüber dem dramatischen zu betonen, die gesamte Symphonie teleologisch auf das feierliche Finale mit christlicher Auferstehung und Erlösung hin auszurichten – all das entspricht einem Mahler-Bild, wie es ein christlich-deutscher ‚Ständestaat’ gerade noch vertragen kann.“
Der Negativität standzuhalten, ohne durch sie ein Überirdisches zu beschwören – so illuminiert Adornos Buch das Spätwerk Mahlers. Darin sind Gehart Scheit und Wilhelm Svoboda einig und suchen sich Eideshelfer. Was ihr Buch auch für Nicht-Musikologen wichtig macht, ist einmal die Darstellung der Lage der meist jüdischen Musiker im nationalsozialistischen Wien und die so gefährliche wie selbstverständliche Haltung, diese zu verbergen, zu versorgen und vor dem Transport in die Vernichtungslager zu retten, zum anderen sind es die Interviews mit dem Dirigenten und Komponisten Michael Gielen und der Komponistin Olga Neuwirth, welche die Analysen anbinden an den „Treffpunkt der Moderne“ und Hinweise enthalten, wie es mit der Eingemeindung Mahlers in den heutigen Musikbetrieb steht.
Es sind nur sehr wenige Dirigenten, die den Test von „richtigen“ Mahler-Aufführungen bestehen: Gielen natürlich – und Abbado. Scheit und Svoboda sind allergisch gegen den falschen, schwelgerischen Schönklang etwa Karajans – zu Recht, wie mir scheint. Mahler besser zu verstehen, dafür ist dies Buch tauglich.
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Gustav Mahler ist „durchgesetzt“ – er wird allwärts aufgeführt und auf CDs gepresst. Warum ihn verteidigen? Man muss schon in der Atmosphäre Wiens aufgewachsen sein und leben, um das zu verstehen. Und den Zorn der Kultur- und Musikwissenschaftler Gerhart Scheit und Wilhelm Svoboda, um das Buch „Treffpunkt der Moderne. Gustav Maler, Theodor W. Adorno und Wiener Traditionen“ zu begreifen, das den falschen (weil falsch gespielten) Mahler polemisch angreift. Sie führen darin ihr Buch „Das Feindbild Mahler“ fort.
„Es ist daran zu erinnern, dass Wien nicht nur der Ort war, den Mahler verlassen hat, weil er ‚das Gesindel’ nicht mehr aushielt, wie er 1907 schrieb; wo die Avantgarde des Antisemitismus über die Moderne triumphierte, um schließlich im ‚Anschluss’ ans Dritte Reich ganz zu sich selbst zu kommen. Wien war zugleich – wenn auch oft nur im Verborgenen, abgeschnitten vom offiziellen Kulturbetrieb – Treffpunkt der Moderne, an dem sich Mahlers spätromantisch genannte Musik als Bruch mit der Romantik zu erkennen gab, damit als Bruch mit einer Gesellschaft, die in der Musik Legitimation für die Katastrophenpolitik finden wollte, auf die sie zusteuerte.“
Diesem „Treffpunkt“ und einer Analyse des Mahler’schen Werks gilt dies Buch. Als Wegweiser dienen dabei Theodor W. Adornos zahlreiche Schriften über Mahler und die „Wiener Schule“: Schönberg, Berg, Webern, die von Scheit und Svoboda ausführlich zitiert werden (wobei die Kürze der jeweiligen Zitate freilich deren Sinn manchmal verdunkelt, weil ihnen der jeweilige Zusammenhang fehlt, den nur kundige Adorno- und Mahler-Adepten jederzeit herstellen können). Es ist ein Buch für „Kenner“, die immer wieder zustimmend nicken werden, und es bedarf des Interviews mit der zeitgenössischen Komponistin Olga Neuwirth, um dies (ein wenig) zurechtzurücken. „Deshalb wollte ich mich jetzt auch nicht festlegen, ob ich das, was Adorno sagte, jetzt gut finde, oder nicht. Ich möchte nicht von einer unhinterfragten Doktrin ausgehen, die mir vorgibt, wie ich zu denken oder zu komponieren habe.“
Doch wer selbst nicht komponiert, der wird in den Analysen Adornos in der Tat Anweisungen finden, Mahler besser zu begreifen, vor allem das Katastrophische, das dieser Musik eingeschrieben ist als Vorschein dessen, was später geschah. Für Adorno ist diese Musik eine offene Wunde, die richtig gesehen (also aufgeführt und gelesen) eher Erschrecken als unverbindlichen Genuss auslöst. Diese musikalischen Analysen, die sich auch auf Schönberg, Berg, Webern beziehen, sind der Versuch, die Moderne vor einer allzu leichtfertigen Historisierung zu retten. Die hat „damals“, wie Adorno schreibt, bereits angefangen: „Schroffheiten delikat zu modellieren, das ‚kämpferische’ Moment aufzulösen, das lyrische gegenüber dem dramatischen zu betonen, die gesamte Symphonie teleologisch auf das feierliche Finale mit christlicher Auferstehung und Erlösung hin auszurichten – all das entspricht einem Mahler-Bild, wie es ein christlich-deutscher ‚Ständestaat’ gerade noch vertragen kann.“
Der Negativität standzuhalten, ohne durch sie ein Überirdisches zu beschwören – so illuminiert Adornos Buch das Spätwerk Mahlers. Darin sind Gehart Scheit und Wilhelm Svoboda einig und suchen sich Eideshelfer. Was ihr Buch auch für Nicht-Musikologen wichtig macht, ist einmal die Darstellung der Lage der meist jüdischen Musiker im nationalsozialistischen Wien und die so gefährliche wie selbstverständliche Haltung, diese zu verbergen, zu versorgen und vor dem Transport in die Vernichtungslager zu retten, zum anderen sind es die Interviews mit dem Dirigenten und Komponisten Michael Gielen und der Komponistin Olga Neuwirth, welche die Analysen anbinden an den „Treffpunkt der Moderne“ und Hinweise enthalten, wie es mit der Eingemeindung Mahlers in den heutigen Musikbetrieb steht.
Es sind nur sehr wenige Dirigenten, die den Test von „richtigen“ Mahler-Aufführungen bestehen: Gielen natürlich – und Abbado. Scheit und Svoboda sind allergisch gegen den falschen, schwelgerischen Schönklang etwa Karajans – zu Recht, wie mir scheint. Mahler besser zu verstehen, dafür ist dies Buch tauglich.
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