Von Nada Weigelt
Peter Handkes neues Werk hatte schon eine spektakuläre Geschichte hinter sich, lange bevor es jetzt auf den Markt kam. Claus Peymann, der „Papst“ unter den deutschen Theatermachern, wollte das neue Stück seines langjährigen Freundes Handke als Gastspiel am Wiener Burgtheater uraufführen. Doch Regisseur und Autor zerstritten sich, der Plan wurde gekippt.
Jetzt hat Handke (67), der große Provokateur unter den deutschsprachigen Dramatikern, sein Stück „Immer noch Sturm“ in einer Buchfassung bei Suhrkamp herausgebracht. Und der Wunsch des gebürtigen Kärnters nach einer Uraufführung in Österreich wird doch noch wahr: Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der „Sturm“ unter der Regie des Bulgaren Dimiter Gotscheff im August 2011 bei den Salzburger Festspielen Premiere feierte.
Die Buchfassung ist eine packende und zugleich poetische Zeitreise in Handkes Familiengeschichte. Als Ich-Erzähler begegnet er in Szenen zwischen Traum und Wirklichkeit seiner Mutter, ihren vier Geschwistern und den Großeltern, die als slowenische Minderheit in Kärnten leben.
Zwei der Geschwister schließen sich angesichts der Verfolgung durch die Nazis im „Großdeutschen Reich“ dem bewaffneten Widerstand einer Partisanengruppe an. Die Auseinandersetzung mit diesem Teil der Familiengeschichte wird zugleich zur Frage an den nachgeborenen „Kümmerer“. „Nicht ich lasse Euch nicht in Ruhe. Es lässt mich nicht in Ruhe, nicht ruhen“, sagt er einmal.
Malte Herwig, dessen Handke-Biografie „Meister der Dämmerung“ demnächst erscheint, nennt das Buch ein „großes Alterswerk im besten Sinne“. Und Thomas Oberender, der Schauspielchef der Salzburger Festspiele, sagte: „Es ist ein großes homerisches Epos, in dem Homer die von ihm erfundene Welt selber betritt.“
Freilich, vieles ist nicht erfunden: Der heute in der Nähe von Paris lebende Autor wurde 1952 im kleinen Ort Griffen in Südkärnten geboren. Seine Mutter war Slowenin, sein verschwundener Vater ein deutscher Wehrmachtssoldat. Von ihm erfährt Handke erst, als er kurz vor dem Abitur steht.
Hauptfigur im Buch ist sein Pate und ältester Onkel Gregor, der 1942 an der Ostfront fiel. Er hatte eine Schlüsselrolle in der Familie und kommt als literarische Figur bei Handke immer wieder vor. In „Immer noch Sturm“ schließt er sich den Partisanen an, für die nach 1945 der „frische Frieden“ bald in einen faulen umschlägt.
„Einmal die Heimat verloren - für immer die Heimat verloren. Es herrscht weiterhin Sturm. Immer noch Sturm“, sagt der Onkel in der Passage, die dem Stück den Titel gab. Wenngleich aus anderer Perspektive, so klingt hier erneut das Thema an, mit dem Handke sich Mitte der 90er Jahre politisch ins Zwielicht brachte. Auch seine damals so umstrittene Parteinahme für Serbien entsprang letztlich der Idee eines Vielvölkerstaats Jugoslawien.
Spannend an dem gerade mal 166 Seiten starken Buch ist aber nicht nur die Verschränkung von Familien- und Weltgeschichte, sondern auch die literarische Form. In einer Mischung aus Drehbuch und Roman entwickelt Handke seine Szenen in dichten, wortgewaltigen Dialogen, die sein „Ich“ mit den familiären Traumgestalten führt. Zum Schluss bleibt der sich selbst genügenden Familie als Wahlmöglichkeit nur, ihren „Weltverdruß“-Walzer einmal als Polka zu singen. „Zwar auch nicht gerade Zukunftsmusik, aber naja ...“
Handke, Peter: Immer noch Sturm, Suhrkamp Verlag Berlin, 166 S., 15,90 €.
Herwig, Malte: Meister der Dämmerung. Peter Handke. Eine Biografie, DVA Verlag München, ca. 400 S., 22,99 €, erscheint am 9.11.