Von Miriam Bandar
Da sitzt er, der einsame alte Mann. Hört ein altes Tonband von seinem Leben vor 30 Jahren, bedauert seine jugendliche Borniertheit, den Verlust seiner Liebe für ein erfolgloses Buch und vor allem sich selbst. Dann kommt sie und sagt dieser tragischen Figur endlich mal die Meinung. Gleich zwei Stücke feierten in dem anderthalbstündigen Theaterabend bei den Salzburger Festspielen am Sonntag (9.8.) Premiere: Zuerst zeigte Regisseur Jossi Wieler den Beckett-Männermonolog „Das letzte Band“. Darauf folgt als weibliche Antwort die deutschsprachige Erstaufführung von Peter Handkes „Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“.
Sein Stück sei eher ein Echo als eine Antwort, schreibt Handke im Programmheft — er selbst saß im Sonntag nicht im Publikum. „Ein Echo, jetzt fern, im Raum und auch in der Zeit, jetzt ganz nah an Herrn Krapp, dem einsamen Held des Stücks von Samuel B.“ Das Publikum nahm die Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen mit freundlichem Applaus auf. Für die Darsteller gab es vereinzelte Buh-Rufe.
Ein von Neonlicht beschienener Schreibtisch, ein Tonbandgerät, einen Stuhl und eine Truhe mit Bändern — mehr hat der 69-Jährige Schriftsteller (André Jung) in seinem offenen Metallkasten nicht zur Verfügung (Bühne und Kostüme Anja Rabes). Das Hemd spannt über dem Bauch, die Energie ist dahin, er hält über das vor 30 Jahren aufgenommene Tonband Rückschau auf sein gescheitertes Leben. Damals hatte ihn ein Buchprojekt zum Verlassen seiner Liebe bewegt — wofür er heute nur noch ein Kopfschütteln übrig hat. Die Abhandlungen über das Buch spult er vor, die Schilderung eines Nachmittags im Boot mit der Frau hört er gleich mehrfach. Doch das Leben zurückspulen kann er nicht. Von den jedes Jahr zu seinem Geburtstag besprochenen Tonbändern nimmt er sich das letzte vor, bevor er am Schreibtisch zusammenbricht.
Dann kommt die junge Frau (Nina Kunzendorf) in korallenrotem Pulli, Hose und Turnschuhen auf die Bühne — eine Stimme aus dem Off hat sie zuvor von einer Steinstatue zum Leben erweckt und die Handlung ins Reich der Imagination versetzt. Bei Beckett nur reine Projektionsfläche der Fantasien des alten Herrn, kündigt sie nun an: „Mein Spiel jetzt.“ In einem atemlosen Monolog enttarnt sie gnadenlos die jahrzehntelange, in sich verharrende Selbstbespiegelung des verbitterten Beckett-Helden mit seinen Tonbändern. „Mein Platz war ausschließlich in deinen Sätzen.“ Sie mitten im Leben stehend, er schon immer voll Lebensfurcht, machohafter Borniertheit und nur auf sich bezogen: „So etwas wie eine Replik hast du nie erwartet.“ Am Ende lässt die Stimme sie wieder zu einer Statue an der Seite einer männlichen Figur erstarren — aber das Verhältnis beider zueinander hat sich verändert.
Regisseur Wieler inszenierte den Theaterabend sehr feinsinnig und ruhig. Schwarz-weiße Videoprojektionen im Hintergrund nehmen die fantastischen Brüche im Stück auf, da werden Steinarme zu echtem Fleisch und bewegen sich langsam, ein Damenfuß in Sandalette wippt in Großaufnahme oder jemand schmiert Brote.
Der Schriftsteller ist bei Wieler eher trauriger Clown als sterbender Macho-Tiger, etwa wenn er eine Banane schält, sie sich hochaufgerichtet vor den Schoß hält — um sie dann resigniert vor schwindender Potenz Stück für Stück aufzuessen und die Schale hinter eine Kiste zu werfen. Ein Drehen der Bühne offenbart später, dass sich dort schon ein ganzer Haufen von Bananenschalen befindet.
Auch Nina Kunzendorf kommt als Kontrast zum alten Mann nicht als übersprudelndes Vollweib, sondern mehr als ernste junge Dame mit strengem Zopf daher. Mit ihrem sehr langen Monolog hat sie etwas Probleme, die Spannung zu halten. Das mag am für das Theater schwierigen Handke-Text, aber auch an ihrer Bühnenpräsenz liegen. Mit dem Zusatz des weiblichen Blicks ist dem Schauspiel- und Regieteam des Abends aber dennoch eine gute und ausgewogene Weiterentwicklung des bekannten Beckett-Stückes gelungen.
Berichtigung: In der letzten Zeile des ersten Absatzes wurde der falsch geschriebene Titel des Handke-Textes korrgiert: „Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“ rpt „Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“ (nicht: „Bis das der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“).