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Heimkehr in die Fremde

„Tschador“ ist Murathan Mungans düstere Parabel auf den islamischen Gottesstaat

© Die Berliner Literaturkritik, 20.01.09

 

Stell dir vor, du kommst nach Hause – in ein völlig fremdes Land. So geht es Akbar, der lange Zeit im Exil verbracht hat. Der Krieg hat seine Heimat verwüstet, die Islamisten sind an der Regierung. Akbar ist auf der Suche nach seiner Familie, aber von seiner Schwester und seiner Mutter fehlt jede Spur. Allgegenwärtig auf den Straßen ist hingegen die Burka, die alle Frauen verhüllt. Eindeutig identifiziert werden können die weiblichen Bewohner nur durch die Männer, ohne deren Begleitung sie ihre Häuser nicht mehr verlassen dürfen. Still und staubig ist es in der namenlosen Stadt, auf ihren labyrinthartigen Straßen, die Akbar entlang irrt, ohne jemals weiter zu kommen bei seiner Suche. Anhand von Eigenarten in Haltung oder Gang glaubt er Mutter und Schwester zu erkennen, aber die Männer neben ihnen kennt er nicht. In den ihm bekannten Häusern wohnen fremde Menschen, die verschleierten Frauen sprechen nicht mit ihm. Die Regierung hat durch die Burka die Frauen, das Weibliche aus dem Land entfernt, so scheint es ihm. Aber gerade dieses Symbol der Unterdrückung, diese physische Realisation des Tunnelblicks und der Scheuklappen, verhilft Akbar zu einer neuen Identität: Er geht in der islamischen Gesellschaft auf – als Frau.

Dieses kafkaesk anmutende Szenario schildert Mungan mit einem dunklen, dichten Sprachkonzentrat; die Sätze des schmalen Buches bringen im Leser eine selten angerührte Saite zum Schwingen, die sich lange nicht beruhigen kann. Die wohlgesetzten Worte drohen Abgründe zu öffnen, an die man lieber nicht denken möchte. Mungan zeigt mit dieser kaum 120 Seiten starken Parabel, dass orientalische Literatur nicht immer in satten Farben auf mehreren hundert Seiten ausgemalt sein muss, und sein Stil bildet einen interessanten Kontrast zu dem des türkischen Nobelpreisträgers Orhan Pamuk, dessen Leistung hiermit keineswegs geschmälert werden soll. Der Übersetzer dieses Buches, Gerhard Meier, zeichnet übrigens auch verantwortlich für die Übersetzung des aktuellen Pamuk-Romans „Das Museum der Unschuld“.

Von Tina Rath

Literaturangaben:
MUNGAN, MURATHAN: Tschador. Übersetzt aus dem Türkischen von Gerhard Meier. Blumenbar, München 2008. 126 S., 15,90 €.

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