Nguyen Phong Dien ist Mitte 40 und hat ein Leben hinter sich, das man gemeinhin als schweres Schicksal bezeichnet. Während des Vietnamkriegs trifft ihn 1968 als kleiner Knirps ein Granatsplitter. Mit Hilfe von Terre des Hommes kommt er zusammen mit anderen Kriegsopfern nach Deutschland. Doch er bleibt für immer querschnittgelähmt. 1974 — Dien ist gerade elf — muss er mit anderen Kindern zurück nach Vietnam. Dort schlägt sich der Rollstuhlfahrer recht und schlecht als Uhrmacher durch — und träumt von Deutschland.
Dien ist also nicht nur zwischen die Fronten in Vietnam geraten, sondern auch ein Opfer der deutschen Ausländerpolitik geworden. Denn die sieht vor, vom Krieg gezeichnete Kinder irgendwann wieder in ihr Heimatland zurückzuschicken — auch wenn sie längst in Deutschland verwurzelt sind. Die in Hamburg lebende Autorin Bruni Prasske hat diese ungewöhnliche Geschichte nun ausgegraben. Sie war bei einer Recherchereise in Vietnam auf Dien gestoßen, als sie in Saigon einen Deutsch sprechenden Stadtführer suchte. Daraus ist ein etwas anderes Reisebuch entstanden: Beide sind auf Diens Moped kreuz und quer durch Vietnam gefahren — auf den Spuren von dessen Lebensgeschichte.
Prasske beschreibt dies sehr anschaulich, einfühlsam und zum Teil auch schonungslos. In ihrer direkt-zupackenden Art macht die blonde „Langnase“ — wie die Europäer in Vietnam genannt werden — auch vor unbequemen Dingen nicht halt. Schon zur Begrüßung überreicht sie Dien eine auf dessen Wunsch aus Deutschland mitgebrachte Urinflasche aus Plastik. An vielen Stellen berührt das Buch die Intimsphäre des Querschnittgelähmten. Das konnte nur bei gegenseitigem Vertrauen funktionieren — und beide kommen sich am Ende auch näher.
Daraus wird glücklicherweise keine Rührstory — aber für Dien ist auch kein Happy End in Sicht. Während die Autorin mit vielfältigen Eindrücken nach Hause fliegt, bleibt der Held des Buches in Vietnam zurück. „Auch mir gelingt nur ein klägliches Lächeln“, gesteht Prasske im letzten Satz des Buchs, als sie vom sensiblen Dien in der Flughafenhalle Abschied nimmt. Auch den Leser beschleicht ein Unbehagen, denn man wünscht Dien keine weitere Enttäuschung. Das Nachwort überlässt Prasske ihrem Reisebegleiter. „Ich habe immer Heimweh (nach Deutschland) gehabt“, schreibt Dien. Derzeit ist er wieder zu Besuch, um das Buch zusammen mit der Autorin vorzustellen.
Von Thomas Maier
Literaturangabe:
PRASSKE, BRUNI: Immer noch träume ich von Deutschland. Reise in ein Leben zwischen Deutschland und Vietnam. Ehrenwirth Verlag, Bergisch Gladbach 2009. 348 S., 19,95 €.
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