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Helmut Schmidt zieht Bilanz

Viel Lob für den SPD-Nachfolger Schröder

© Die Berliner Literaturkritik, 15.09.08

 

von Joachim Schucht

BERLIN (BLK) – Auf verkaufsfördernde Marketing-Methoden, die Helmut Schmidt nach eigenem Anspruch eigentlich zuwider sind, wurde nicht verzichtet. Mit Interviews und Vorabdrucken wurde bereits kräftig für das Buch geworben, das erst am Mittwochabend (17. September 2008) im alten Brecht-Theater in Berlin-Mitte vorgestellt werden soll. Auch der Autor selbst sorgte vorher noch für zusätzliche Aufmerksamkeit. Mit einer kalkulierten Breitseite gegen seinen jahrzehntelangen Intimfeind Oskar Lafontaine zeigte der fast 90-jährige Altkanzler, dass er immer noch kräftig austeilen kann.

„Gegen Ende des Lebens wollte ich einmal aufschreiben, was ich glaube, im Laufe der Jahrzehnte politisch gelernt zu haben“, heißt es im Vorwort zu dem Band mit dem Titel „Ausser Dienst“. Das 350 Seiten starke Werk, in dem Schmidt die Bilanz seines ungewöhnlich langen politischen Lebens zieht, dürfte wie viele andere seiner fast 30 früheren Bücher wieder monatelang ganz oben auf den Bestseller-Listen stehen. Als Memoiren will Schmidt sein Alterswerk ausdrücklich nicht verstanden wissen. Ausführlich analysiert er auch die aktuelle Lage Deutschlands in der globalisierten Welt und nimmt dabei wie gewohnt kein Blatt vor den Mund.

Einige Passagen sind allerdings auch von Altersmilde geprägt. Sein oft schwieriges Verhältnis zur SPD spielt Schmidt in der Rückschau herunter. „Unfug“ nennt er Behauptungen, er habe sich irgendwann mit der eigenen Partei richtig überworfen: „Tatsächlich bin ich immer Sozialdemokrat geblieben.“ Auch nach 60 Jahren als Parteimitglied gelte für ihn „ungemindert“ die feste Überzeugung: „Die SPD entspricht bei weitem am besten meinen moralischen Wertvorstellungen.

Über einzelne Weggefährten auch aus dem eigenen Lager äußert sich der Altkanzler wenig schmeichelhaft. Etwa über seinen direkten Vorgänger Willy Brandt, dem er vorhält, er habe ihn beim NATO-Doppelbeschluss 1983 im Stich gelassen. Sein langjähriger FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher kommt vor allem durch Nichterwähnung vor. Kein gutes Haar lässt Schmidt an Joschka Fischer. Als der Grüne Minister geworden sei, habe er sofort seine jahrzehntelange Praxis gestoppt, Berichte über Gespräche mit ausländischen Staatsmännern ins AA zu schicken.

Auffällig gut weg kommt dagegen sein SPD-Nachfolger im Kanzleramt. Als Gerhard Schröder 2003 sein klares Nein zur deutschen Beteiligung am „unsäglichen“ Irak-Krieg der USA verkündet habe, „habe ich mich wieder in innerer Übereinstimmung mit der Politik der Mehrheit meiner Partei gefunden“, schreibt Schmidt. Dieses Gefühl sei bei den vorherigen Balkan-Kriegen mit deutscher Beteiligung vorübergehend gestört gewesen. Schröders Irak-Verweigerung sei dagegen„völkerrechtlich und moralisch unanfechtbar“ gewesen und habe Deutschland vor der Verwicklung in eine „aussichtslose, blutige militärische Operation“ bewahrt.

Auch was die heutige Einschätzung zu Russland angeht, sieht sich Schmidt mit Schröder ganz auf einer Linie. Der Westen und insbesondere die USA seien es gewesen, die gegenüber Moskau Zusagen nach dem Ende des Kalten Kriegs nicht eingehalten hätten. Und die Aufregung über Schröders Gazprom-Engagement hält Schmidt für abwegig.“ Ich selbst habe nach Ausscheiden aus dem Amt ohne Bedenken eine Reihe von Aufsichtsrats- und Beiratsmandaten angenommen“. An seiner persönlichen Unabhängigkeit habe dies nichts geändert.

Lob bekommt Schröder vom „Weltökonomen“ auch bei einem anderen Punkt. Dessen „Agenda 2010“ sei ein „mutiger erster Durchbruch der ökonomischen Vernunft“ gewesen, den die Union in ihren Regierungszeiten nie gewagt habe. Allerdings hält Schmidt dieses Programm und die inzwischen erfolgten Korrekturen weiter für unzureichend: „Weitere und unvermeidlich schmerzhafte Veränderungen bleiben notwendig.“ So ist aus seiner Sicht die Lockerung des Kündigungsschutzes unverzichtbar. Und ziemlich skeptisch sieht Schmidt auch ein derzeitiges SPD-Lieblingsthema, den gesetzlichen Mindestlohn. Diese Forderung sei zwar auf den ersten Blick einfach und verführerisch, bei näherer Betrachtung allerdings nicht ohne Tücken. Es funktioniere eigentlich nur in Ländern, die anders als Deutschland einen unregulierten Arbeitsmarkt hätten.

Literaturangaben:
SCHMIDT, HELMUT: Ausser Dienst. Eine Bilanz. Siedler Verlag, München 2008. 450 S., 22,95 €.

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