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Eine Jugend im Krieg

Yasmina Khadras Roman „Die Schuld des Tages an die Nacht“

© Die Berliner Literaturkritik, 23.03.10

Von Christine Cornelius

Stellung beziehen, darum geht es in Yasmina Khadras Roman mit dem poetischen Titel „Die Schuld des Tages an die Nacht“. Jounes erzählt als alter Mann von seinem Aufwachsen im Algerien der 1930er bis 1960er Jahre. Seine Geschichte ist verwoben mit dem Schicksal des nordafrikanischen Landes, das um die Unabhängigkeit von Frankreich kämpft. Auf 416 Seiten reift Jounes zum Mann. Und zerbricht beinahe an der Frage, auf welcher Seite er steht.

Als Junge entkommt Jounes der bitteren Armut seiner Familie: Ein reicher Onkel nimmt ihn bei sich auf, weil er ihm ein besseres Leben bieten und ihn zur Schule schicken will. Fortan lebt er im europäischen Teil von Oran, später in der Küstenstadt Río Salado. Er lernt den Wert von Bildung kennen und realisiert, wie sehr Kleidung einen Menschen verändert. Jounes spürt jedoch auch, dass er für viele Europäer stets der verachtenswerte Muslim bleiben wird. Mit dem Tausch seines arabischen Namens gegen das französische „Jonas“ droht ihm Stück für Stück seine Identität zu entgleiten.

„Die Geburtswehen des algerischen Algerien vollzogen sich unter Strömen von Tränen und Blut, und das französische Algerien hauchte seine Seele in einem kolossalen Aderlass aus.“ Jounes jedoch bleibt stets Beobachter, verdammt zu einem Dasein zwischen den Stühlen. Die Schuld, auf der Tagseite des Schicksals zu stehen, während der Rest seines Volkes leidet, lastet jedes Jahr schwerer auf ihm. „Du bist einer von uns, aber du führst ihr Leben“, wird ihm vorgeworfen.

Der Roman erzählt vom Leid eines besetzten Landes, von der Kraft der Familie und vom algerischen Unabhängigkeitskrieg. Vor allem aber erzählt er eine tragische Liebesgeschichte, die durchzogen ist von Schuld und der Unfähigkeit, das eigene Glück zu erkennen. Seit früher Kindheit liebt Jounes die schöne Französin Émilie, die er nach Jahren wiedertrifft. Auch sie gesteht ihm ihre Liebe, doch auf dem jungen Mann lastet eine Schuld, die ihn zwingt, sie abzuweisen.

Hin- und hergerissen zwischen Liebe und Abweisung, Vertrautheit und Fremdheit sind die beiden zwar seelenverwandt, missverstehen sich aber ein ums andere Mal. „Heute glaube ich, mein Fehler bestand darin, dass ich nicht den Mut hatte, zu meinen Überzeugungen zu stehen“, schreibt der Ich-Erzähler rückblickend. Das tragische Fazit eines ängstlichen Lebens ohne wirkliche Leidenschaft.

Wer über Algerien wenig weiß, dem gibt der Roman nur einen vagen Einblick über die Geschichte des Landes. Die politischen Geschehnisse bilden stets den Rahmen der Geschichte, spielen sich aber nie in den Vordergrund. Auf ausschweifende Erklärungen historischer Zusammenhänge verzichtet Khadra. Das dient zwar dem Erzählfluss. Einige erläuternde Passagen würden das Verständnis für die Charaktere und ihre Motivation jedoch erhöhen, gerade für die internationale Leserschaft.

Der gebürtige Algerier Mohammed Moulessehoul schreibt unter dem Namen seiner Frau, zunächst wegen der strengen Zensurbestimmungen in seiner Heimat. Seit 2000 lebt er im französischen Exil. In Deutschland erschienen von ihm zuletzt „Die Attentäterin“ (2006) und „Die Sirenen von Bagdad“ (2008). „Die Schuld des Tages an die Nacht“ wurde in Frankreich 400 000 Mal verkauft. Der Roman gewann den französischen Leserpreis Prix France Télévision und wurde von der Zeitschrift Lire als bestes Buch 2008 ausgezeichnet.

 

Literaturangabe:

KHADRA, YASMINA: Die Schuld des Tages an die Nacht. Übersetzt aus dem Französischen. Ullstein Verlag, Berlin 2010. 416 S., 19,95 €.

 

Weblink: Ullstein-Verlag

 

 

 


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