Von Birgit Reichert
PRÜM (BLK) - Schon als Kind hat Herta Müller gewusst, dass sie eines Tages darüber schreiben würde. Über das furchtbare Schicksal der Rumäniendeutschen, die zwischen 1945 bis 1950 als Zwangsarbeiter in Lager der Sowjet-Ukraine deportiert wurden. Dennoch hat es fünf Jahrzehnte gedauert, bis der Roman „Atemschaukel“ entstand - für den sie 2009 den Literaturnobelpreis erhielt. Bei einer Lesung während des Eifel-Literatur-Festivals in Prüm (Rheinland-Pfalz) erklärte die 56-Jährige am Montagabend (17.5.), warum es ihr nicht früher gelang, über das Thema zu schreiben. „Die Leute haben ja nicht erzählt“, sagte die schwarzgekleidete zierliche Müller vor gut 800 Zuhörern.
Ihre eigene Mutter war fünf Jahre lang deportiert, viele andere Bewohner aus ihrem Heimatort, dem rumänischen Nitzkydorf, auch. „Ich habe als Kind schon immer gedacht, meine Mutter ist eine alte Frau. Alle, die im Dorf gelebt haben, sind alt“, sagte die heute in Berlin lebende Autorin. Immer wieder habe sie im Dorf gefragt, nach dem Leid und dem Terror, der den Bewohnern angetan wurde. „Aber ich bekam nur pauschale Äußerungen wie ‚Wind ist kälter als Schnee’.“ Über die Jahre wusste Müller, dass die Zeit gegen sie arbeitet, „dass irgendwann keiner mehr da ist, der erzählen kann“.
Doch dann traf sie den rumänien-deutschen Lyriker Oskar Pastior, der das demütigende Lagerleben fünf Jahre lang hatte ertragen müssen. „Als ich mit ihm redete, erfuhr ich in einer Viertelstunde mehr Details als bei anderen in Wochen“, sagte Müller. Die Begegnungen mit ihm seien „ein großes Glück“ für sie gewesen. Seine Erzählungen finden sich im Roman in der Figur des 17-jährigen Leopold Auberg aus Siebenbürgen wieder, der über den Terror in einem Lager in Nowo-Gorlowka berichtet.
Auch wenn Pastior (78) im Oktober 2006 starb: „Er hat als Körper an diesem Buch mitgeschrieben“, sagte Müller. Von ihm habe sie „ein Netzwerk von Begriffen“ – „Hungerengel“ oder „Haut- und Knochenzeit“ - übernommen. Es sei „das allergrößte Unglück, dass er nicht weiß, dass ich hier sitze und dieses Buch geschrieben habe“. Dennoch: „Ich habe es für ihn getan, für meine Mutter und für alle die, die das auch erlebt haben.“
Müllers Lesung war einer der Höhepunkte des Eifel-Literatur- Festivals 2010. „Der Andrang war so groß - wir hätten den Saal locker viermal füllen können“, sagte Festivalchef Josef Zierden. Die größte rheinland-pfälzische Literatur-Reihe wartet in ihrer neunten Auflage bis zum 6. November mit insgesamt 28 renommierten Autoren auf. Mit rund 13.000 Literaturfreunde wird gerechnet.
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Lesung, Wandalbert-Hauptschule, Wandalbertstraße 16, 54595 Prüm