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Hinter den Kulissen des „Transportroulette“

Olaf Preuß’ „Eine Kiste erobert die Welt“

© Die Berliner Literaturkritik, 17.01.08

 

HAMBURG(BLK) – 20 Fuß lang und 8 Fuß hoch. Die Erfindung des Containers ist so einfach wie genial. Vor 50 Jahren trat er an Bord der »Ideal X« seinen Siegeszug um die Welt an. Heute ist er das Herzstück der globalen Logistik... Dank der genormten Stahlbox spielt der Transport für industrielle Güter und Konsumprodukte im internationalen Handel keine begrenzende Rolle mehr. (Klappentext)

Olaf Preuß war Wirtschaftsredakteur des „Spiegel“, Reporter im Politikressort des Extra-Magazins, stellvertretender Chefredakteur des Greenpeace Magazins und Gründungsredakteur bei der Financial Times Deutschland, wo er heute die Kommentar- und Meinungsseiten betreut. 2005 erhielt er den „Mitteldeutschen Journalistenpreis“ des Deutschen Journalistenverbandes. Er ist Autor von Energie für die Zukunft und Made in Germany. (wag/wip)

 

Leseprobe:

© Murmann Verlag ©

Vorwort

 

Eine Kiste wurde zum Maß der Dinge. Gut 6 Meter lang, 2,44 Meter breit und 2,60 Meter hoch, eine schlichte Erscheinung, einfach und vor allem billig zu transportieren. Ein paar tausend Hosen, Schuhe oder Weinflaschen kann man in einen 20-Fuß-Standardcontainer hin einpacken, einige hundert Computer oder Fernsehgeräte, Paletten mit Kinderspielzeug, Bauteile für Automobile oder Maschinen – alles, was in die Kiste passt, ist heutzutage auch drin. Der Preis für den weltumspannenden Transport der Güter im Container ist unschlagbar niedrig. Das ist der Grund für den Siegeszug dieses inzwischen allgegenwärtigen Behälters.

Heute sind weltweit rund 14 Millionen Container unterwegs. In jeder Minute des Tages werden Hunderte von ihnen in den Häfen auf- und abgeladen. Wie riesige Lego-Steine stapeln sie sich auf den Terminals und den Seeschiffen. Auf Lastwagen, Zügen, Flussschiffen oder auch in Flugzeugen werden sie punktgenau vom Sender zum Empfänger gebracht. Der Container ebnete Deutschlands Weg zum „Exportweltmeister“ ebenso wie Chinas Aufstieg zur „Werkbank der Welt“. Er bringt deutschen Verbrauchern Wein aus Kalifornien, Chile oder Südafrika, der im Laden billiger ist als ein guter Tropfen des Winzers um die Ecke. Er macht exotische Früchte wie Avocados, Kiwis oder Papayas überhaupt erst zu bezahlbaren Produkten in unseren Supermärkten. Der Transport in der Stahlkiste ist so billig, dass es kaum mehr eine Rolle spielt, wo auf der Welt ein Produkt hergestellt wird.

Das gilt nicht nur für Konsumgüter, sondern für die gesamte Industrie. Die Landkarte des Industriezeitalters wurde mit dem Container neu vermessen. Ganze Branchen wie die Textilwirtschaft oder die Unterhaltungselektronik brachen in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zusammen, weil Arbeiter in anderen Regionen – vor allem in Asien – diese Waren ungleich billiger herstellen können. International agierende Unternehmen tragen die Komponenten für ihre Produkte mittlerweile aus aller Herren Länder zusammen und minimieren so die Kosten. Ohne den Container wäre das unmöglich. Die Stahlkiste zerbrach das alte Gefüge der Produktion und des Handels und schuf neue wirtschaftliche Kraftzentren.

Der Container bereitete die Grundlage für die moderne Globalisierung. Heute ist er, neben Computer, Internet und einem frei beweglichen Kapital, das wichtigste Werkzeug des Welthandels.

Am 26. April 1956 startete im Hafen von New Jersey der Frachter „Ideal X“ zu einer Fahrt nach Houston in Texas. An Bord hatte der umgebaute Tanker 58 Container. Die Reise des Schiffes markierte den Aufbruch in das neue Transportzeitalter, doch von der Öffentlichkeit wurde das Ereignis wenig beachtet. Kaum jemand mochte damals glauben, dass Metallkisten auf Spezialschiffen die jahrhundertealten Traditionen der Lade- und Lagerarbeit im See- und Hafenverkehr beenden würden. Die Jungfernfahrt der „Ideal X“ ähnelte insofern der Fahrt, die Bertha Benz im August 1888 in einer von ihrem Mann Carl Benz entworfenen „Kraftdroschke“ von Mannheim nach Pforzheim unternahm. Es war die erste Fernreise in einem Auto, über eine Distanz von gut 100 Kilometern. Auch bei dieser Erfindung war das Publikum überzeugt, dass es sich um eine technologische Sackgasse handelte. „Das Auto wird eine temporäre Erscheinung bleiben. Ich setze auf das Pferd“, sagte der durchaus technikverliebte Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1899. Ähnlich klangen nach dem Beginn des Containerverkehrs die Kommentare der traditionsbewussten Reeder, die über die neuartigen „Schachtelschiffe“ spotteten. Sowohl die Geschichte des Autos als auch die des Containers begann mit grandiosen Fehleinschätzungen. Das Auto revolutionierte die Mobilität der Menschen, und der Container machte die Wirtschaft zu einem globalen Dorf.

Der amerikanische Transportunternehmer Malcom McLean hat den Grundstein für diese Erfolgsgeschichte gelegt. Er war in den 50er Jahren der Erste, der die Idee einer durchgehenden „Transportkette“ von Land auf See und wieder zurück an Land in die Tat umsetzte. Er schuf ein hocheffizientes System von Hafenanlagen und Schiffen, in dessen Mittelpunkt der Container steht. Etwa zehn Jahre dauerte es nach der ersten Reise der „Ideal X“, bis sich dieses System gegen die etablierten Wege des Land- und des Seetransports durchsetzte. Der Krieg der Amerikaner in Vietnam in den 60er Jahren trug dazu bei, den Container zu etablieren, ebenso der Drang aufstrebender asiatischer Staaten wie Japan oder Taiwan, mit Hilfe ihrer Exportwirtschaft zu den alten Industrienationen aufzurücken. Seit der zweiten Hälfte der 60er Jahre war klar, dass der Stahlkiste beim Gütertransport die Zukunft gehört.

Mehr als 400 Millionen Umschlagsbewegungen vom Land auf Seeschiffe und in umgekehrter Richtung zählten die Statistiker für das Jahr 2006. Ende 2007 sollen es bereits rund 500 Millionen sein und im Jahr 2015 etwa 800 Millionen. Doch jede Prognose der vergangenen Jahre wurde vorzeitig überholt. Grundlage für die Berechnungen der Containerbranche sind die amerikanischen Fuß-Maße. Sie setzten sich bei der Standardisierung der Kiste Anfang der 60er Jahre international durch, weil amerikanische Unternehmer wie McLean bei der Einführung der neuen Technologie die Pionierarbeit geleistet hatten. Die Normierung brachte dem Container den entscheidenden Schub, denn seither können Unternehmen auf der ganzen Welt mit einheitlichen Größen kalkulieren. Auf der Basis des 20-Fuß- Containers hat sich eine ganze Familie unterschiedlicher Größen und Typen entwickelt, von denen heute der 40-Fuß-Container am weitesten verbreitet ist. Entscheidend für den Erfolg des Systems ist, dass es gelingt, den größten Teil des Stückguts mit nur wenigen Standardmaßen umzuschlagen und zu transportieren.

Der Container ermöglicht das schnelle Wachstum des Welthandels, und der wachsende Markt ruft nach immer mehr Containern, Schiffen, Terminals. Container und Welthandel ergänzen sich in einem perfekten Wechselspiel. Je größer die transportierten Mengen, desto geringer die Kosten jedes einzelnen Transports – und desto größer die Nachfrage nach immer mehr Containerkapazität. Zeit- und punktgenau bringt der Container den Nachschub für Fabriken und Supermärkte ans Ziel. Die Box ist das wichtigste Beförderungsmittel für Güter und zugleich ein gigantisches bewegliches Zwischenlager für Industrie und Handel. Während die technologischen Strukturen der Informationsgesellschaft in mikroskopischer Winzigkeit verschwinden, geschieht in der Containerlogistik das Gegenteil: Die Schiffe, Kaianlagen und Hafenterminals werden angesichts des wachsenden Bedarfs immer gewaltiger.

Dieses Buch erzählt die Geschichte des Containers aus deutscher Sicht. Bis zur Mitte der 60er Jahre standen die Hafenbetreiber und die Reedereien hierzulande der neuen Technologie ablehnend gegenüber. Das änderte sich radikal. Norddeutschland, vor allem Hamburg, ist heute ein Zentrum der internationalen Containerlogistik. Zwar hat die Branche ihre Wurzeln in den Vereinigten Staaten, doch heute spielen amerikanische Unternehmen in diesem Geschäft nur noch eine Nebenrolle. Anders die deutschen: Mehr als ein Drittel der weltweit fahrenden Containerschiffs-Flotte gehört deutschen Reedereien. Sie betreiben ihre Schiffe entweder selbst – so wie die Linienreedereien Hapag-Lloyd und Hamburg Süd –, vor allem aber vermieten sie die von ihnen gebauten Frachter an Reedereien überall auf der Welt. Zum wichtigsten Zentrum für die Finanzierung von Seeschiffen entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg Hamburg. Und kein anderes Unternehmen besitzt so viel Wissen und Erfahrung bei der technischen Abnahme und bei der Entwicklung von Containerschiffen wie der Hamburger „Schiffs-TÜV“ Germanischer Lloyd. Angesichts des dramatisch anschwellenden Containerverkehrs platzen die Verladeterminals in den deutschen Nordseehäfen – wie auch in den meisten anderen wichtigen Seehäfen – aus allen Nähten. Beim Ausbau der Anlagen für den Umschlag von immer mehr Stahlboxen setzen die Terminalbetreiber in Hamburg, in Bremerhaven und künftig auch in Wilhelmshaven logistische Maßstäbe.

Der Container hat die Frachtschifffahrt alten Typs verdrängt und zugleich das Ende jahrhundertealter Berufe in den Häfen besiegelt. Schon zu Beginn dieser technologischen Revolution spielten Deutsche eine wichtige Rolle. Der Hamburger Hafenunternehmer Kurt Eckelmann half mit, dass der Stahlbox nach jahrelangen erfolglosen Verhandlungen endlich internationale Standardmaße verpasst wurden. Und die kleine Traditionswerft Sietas an der Elbe nimmt für sich in Anspruch, Mitte der 60er Jahre das erste „echte“ Containerschiff der Welt gebaut zu haben, das auf ebendiesen neuen Maßen des Containers basierte. Die Pioniere des Containerzeitalters – allen voran Malcom McLean – wollten den Transport von Gütern vereinfachen und billiger machen. Sie konnten kaum wissen, dass der Überseehandel dank der neuen Technologie schon bald alle Maßstäbe sprengen würde. Jeder der größten Containerfrachter kann weit mehr Ladung befördern als die rund 1000 Schiffe zusammen, die um das Jahr 1600 für den mächtigen Städtebund der Hanse die Meere befuhren. Die „Ideal X“ von Malcom McLean trug 58 Container, die „Emma Mærsk“ und ihre Schwesterschiffe der dänischen Reederei Mærsk bringen es auf mehr als 13 000.

Und das ist gewiss noch nicht das Ende der Geschichte.

Hamburg, im Juni 2007

© Murmann Verlag ©

Literaturangaben:
PREUß, OLAF: Eine Kiste erobert die Welt. Der Siegeszug einer einfachen Erfindung. Murmann Verlag, Hamburg 2007. 184 S., 22,50 €.

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