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Historiker Wehler: DDR „in jeder Hinsicht gescheitert“

Der Historiker Hans-Ulrich Wehler zu seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte“

© Die Berliner Literaturkritik, 29.08.08

 

Von Johannes Wagemann

BIELEFELD (BLK) – Der renommierte Historiker Hans-Ulrich Wehler (76) hat sein Großwerk, die fünfbändige „Deutsche Gesellschaftsgeschichte“, beendet. Am Freitag (29. August 2008) ist der letzte Band erschienen, über die Jahre 1949 bis 1990. Der 76-Jährige kommt darin unter anderem zu dem Ergebnis, „dass es sich bei der Bundesrepublik um einen zukunftsfähigen Staat handele, der durch die Westintegration und den Zugang zum Weltmarkt in einer erstaunlich kurzen Zeit auf das Niveau der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg kommen konnte“, wie er der Deutschen Presse-Agentur dpa sagte.

Mit der DDR geht Wehler hingegen hart ins Gericht. Sie sei „in jeder Hinsicht gescheitert“, und zwar von Beginn an, „mit der zentralen staatlichen Planwirtschaft und beim Umbau der Gesellschaft“. Im fünften Band seines Werks werde dementsprechend auch klar, dass sich die Menschen „in der gerade verblichenen DDR“ 1990 auch bei einer Volksabstimmung statt der freien Wahlen auf jeden Fall für einen Beitritt zur Bundesrepublik entschieden hätten. Diese habe sich über 40 Jahre als „solider Kernstaat als überlebensfähig und modernisierungsoffen erwiesen“.

Zugleich sieht der Historiker beim „Erfolg“ der Bundesrepublik in deren Anfängen wichtige Kontinuitäten zum Nationalsozialismus, vor allem wirtschaftlicher Art. Hitler und seine Partei hätten in vielen Bürgern, vom Soldaten bis zum Manager, einen „Leistungsfanatismus“ erzeugt, der zum Aufstieg Westdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg mit beigetragen habe. „Der Leistungswille musste gewissermaßen nur entnazifiziert werden“, so der 76-Jährige, „dann steckte er aber als Antriebskraft in Hunderttausenden von jungen Leuten drin, die, wenn sie den Krieg überlebt hatten, nun beweisen wollten, dass sie im Frieden mindestens genauso tüchtig waren wie an der Front.“ Der frühen sozialen Marktwirtschaft sei dieser wohl zu Gute gekommen. „Das ist eine sehr umstrittene These“, gibt Wehler zu.

Auch über die weitere deutsche Nachkriegsgeschichte urteilt der Sozialhistoriker hart: So sieht er im Jubiläumsjahr, 40 Jahre nach 1968, die damalige Studentenbewegung und deren Einfluss nur als „Symptom, nicht aber Ursache“ der Veränderungen der Gesellschaft. Er sehe keine einzige „tragfähige neue Idee“, die bei 1968 herausgekommen sei. „Die Rätedemokratie oder die Verehrung von exotischen Partisanenhäuptlingen wie Che Guevara oder Ho Chi Minh deckte sich nicht mit dem Transfer in moderne Industriegesellschaften“, sagt Wehler. Neue Institutionen, die der repräsentativen Demokratie überlegen gewesen wären, hätten die Protagonisten auch nicht vorgeschlagen.

Aus seiner Beschäftigung mit der deutschen Zeitgeschichte formuliert Wehler auch Forderungen an die aktuelle Politik in Berlin. Der Sozialstaat etwa sei im Laufe der Jahrzehnte so aufgebläht worden, dass er nicht mehr finanzierbar sei. Beim Zurückschneiden auf „ein immer noch hervorragendes Maß“ seien viele Millionen Menschen betroffen, die sich an den Wohlfahrtsstaat gewöhnt hätten. Mit der Agenda 2010 der Regierung Schröder seien Tabus gebrochen worden. „Doch selbst wenn der Kanzler sich vier Jahre Zeit genommen hätte“, so Wehler, „hätte er eine skeptische SPD-Basis nicht von den harten Einschnitten überzeugen können.“ Die Reformen reichten immer noch nicht. Tatsächlich würden einige nun „von ängstlichen Politikern schon wieder rückgängig gemacht“.

Literaturangaben:
WEHLER, HANS-ULRICH: Deutsche Gesellschaftsgeschichte: Deutsche Gesellschaftsgeschichte – Von der Gründung der beiden deutschen Staaten bis zur Vereinigung 1949 – 1990: Bd. 5. C. H. Beck, München 2008. 560 S., 34,90 €.

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