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Historischer Tachostand

„Fahrtenbuch“ - ein Roman von Niklas Maak

© Die Berliner Literaturkritik, 12.12.11

MAAK, NIKLAS: Fahrtenbuch. Roman eines Autos. Hanser, München 2011. 363 S., 21,90 €

Von Björn Hayer

Wer glaubt, ein Auto habe nur vier Räder und ein wenig Metall vorzuweisen, der irrt. Denn in Niklas Maaks neustem Erzählwerk „Fahrtenbuch. Roman eines Autos“ ist es Zeitmaschine und Tagebuch zugleich. Präsentiert wird darin die Geschichte des Mercedes 350 SL, Baujahr 1971, dessen langes Leben bis zum Totalschaden im Jahr 2008 reicht.  

Zwar vermag es selbst nicht reden zu können, dafür sind ihm jedoch die Biographien seiner Besitzer denkwürdig eingeschrieben. „Der Fahrzeugbrief ist die kürzeste Form einer Erzählung, das Skelett einer Handlung, der Schlüssel zu den Geschichten der Fahrer.“ Alles nimmt seinen Lauf mit dem Chirurgen Bellman, dessen in Stuttgart frisch produzierter Mercedes nach fast zehn Jahren an den italienischen Gastarbeiter Antonio Comeneno verkauft wird. Nach mafiösen Wirrungen und erfolgreicher Expansion im Pastabetrieb verbleibt das Auto aber auch hier nicht bis zu seinen letzten Tagen.

Gerade als „Wadorf beschloss, ein neues Leben zu beginnen“ kommt der günstige Mercedes zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Besitzer. Obwohl der findige Tüftler nur wenig Geld besitzt, verhelfen ihm seine Ideen bald schon zu Wohlstand. Der kreative Coup: Ein Eisimperium, beruhend auf Softeisproduktion.

Mit dem Mercedes beginnen und enden sowohl Lebensphasen als auch Epochenwenden. So sind ebenso die DDR und das noch jung wiedervereinigte Deutschland Stationen eines langen Roadmovies. Von Henning Berkenkamp, dem Sohn einer großbürgerlichen, Hamburger Traditionsfamilie, dessen Hochzeit mit dem „Mauerspecht“ Bianca aus der Ostzone zum Aufkochen untergründiger Ressentiments führt, bis hin zum Biobauern Peter Radonovicz verläuft die Nabelschau der Bundesrepublik.

Dabei bleibt das Auto stets im Hintergrund, beobachtet als stiller Zeuge den schleichenden Verlauf der Geschichte. Dass Radonovicz’ verschlafenem Braunkohlerevier infolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion nicht lange die Idylle erhalten bleibt, mag nicht zuletzt dem ersehnten Wegfall der Grenzen geschuldet sein. Der Fall der Mauer zieht die Periode der wirtschaftlichen Globalisierung nach sich, die auch keinen Halt vor dem mittelständischen Biobetrieb macht. Doch der eifrige Unternehmergeist wird den ungehalten-rabiaten Holländischen Investoren bald schon mit denselben grenzwertigen Mitteln das Handwerk legen.

Was damit als Bewahrung des Alten beginnt, schlägt in den kommenden Jahren in die Suche nach Neuem um. Orientierungslosigkeit macht sich in der Generation X breit. Mit Marie Bergsson zieht der in die Jahre gekommene Mercedes an den Partynächten und Projektesammlern der 90er vorbei, bis über die New-Economy-Phase letztlich im Jahre 2008 der große Börsencrash auch das Dasein des Mercedes in einem vorhersehbaren Unfall beendet.

Der Geist des Autos, das scheinbar mehr ist als ein bloßer Blechhaufen, lebt aber weiter. Als das Wrack in der marokkanischen Autowerkstatt von Yazid landet, dienen seine Einzelteile nämlich zum Erhalt anderer Fahrzeuge. Jawohl, jedem Ende wohnt eben doch auch ein Anfang inne.

Indem der Autor den Mercedes als umspannendes Element seiner zunächst eigenständigen Erzählungen wählt, legt er der bundesrepublikanischen Geschichte einen roten Faden an. In augenscheinlicher Nebenrolle dokumentiert es die Brechungen, Verfehlungen und Wünsche unterschiedlicher Generationen, wobei in den lebendigen Abbreviaturen stets auch der Makrokosmos in seiner ganze Dichte zum Aufscheinen gelangt. Die ungemein farbenfroh ausgemalten Charaktere nutzen das Vehikel, um sich selbst und den Sinnhorizont ihrer jeweiligen Zeit nah zu kommen. Während der Leser die Tagebücher im Kilometermesser serviert bekommt, dessen Stand Maak jedem Kapitel voranstellt, begibt er sich auf eine mal komische und in manchen Momenten durchaus innehaltende Reise durch Vergangenheit und Gegenwart. Statt der Schwere epischer Historienromane bedient sich der Chef des Kunstressorts der FAZ dabei einer erstaunlich mondänen Leichtigkeit, in deren Mittelpunkt es insgeheim die Entwicklung einer deutschen Identität nachzuvollziehen gilt. Klar ist: Dieser Autor beweist einen auf imposante Weise unaufdringliche Reifegrad, sein charmantes wie auch intelligentes Erzählen befreit die Geschichte aus staubigen Schubladen und lässt sie so neu erblühen.


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