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Hitler und Geli Raubal – ein kühnes Buch und eine makabre Vorstellung

„Das Böse zu erzählen ist möglich“, reflektiert der Autor

© Die Berliner Literaturkritik, 07.10.08

 

Von Dorothea Hülsmeier

MÜNCHEN (BLK) – „Entschuldigen Sie, ist das hier die Polizei?“ Ein Mann auf dem Fahrrad stoppt vor dem Haus Nummer 16 am Münchner Prinzregentenplatz und schaut suchend. Das Fahndungsplakat eines mutmaßlichen islamischen Terroristen klebt an der Eingangstür. Seit vielen Jahren ist auf allen Etagen des herrschaftlichen Jugendstilbaus die Polizeistation 22 untergebracht. Die düstere Seite des Hauses kennen heute zumeist nur Geschichtsinteressierte: Im zweiten Stock hatte Adolf Hitler von 1929 bis zu seinem Untergang 1945 seine Privatwohnung: neun Zimmer, Balkon, fast 400 Quadratmeter, Jahresmiete 4176 Reichsmark.

In einem der Räume setzte Hitlers Halbnichte Geli Raubal 1931 im Alter von 23 Jahren ihrem Leben ein Ende. Sie erschoss sich mit Hitlers Pistole. Viel ist gemutmaßt und geforscht worden über die Beziehung des späteren Nazi-Diktators zu Geli Raubal. Eine kühne literarische Idee setzte jetzt der österreichische Autor Uwe Bolius um. Der 68-Jährige, der über Kant promovierte, wagte einen Roman über die Liebesgeschichte von Hitler und Raubal. „Hitler von innen“ heißt das Werk, in dem der Autor Hirn und Psyche des Menschheitsverbrechers ausleuchtet.

Die Vorstellung des Romans am Dienstag (7. Oktober 2008) bewegte sich am Rand des Makabren. Bolius und der österreichische Limbus-Verlag hatten in Hitlers ehemalige Wohnräume geladen. Vieles ist dort noch original: der Parkettboden, die Türen, ein Kamin und die schweren Bücherregale in der Bibliothek. Doch der Geist der braunen Vergangenheit ist längst gewichen. Hauptkommissar Harald Freundorfer zeigt bereitwillig alle Räume. Geli Raubals Zimmer dient heute als Umkleideraum für Polizisten. Pantoffeln und Turnschuhe stehen auf dem Boden, ein Hemd hängt am Schrank. In Hitlers Bibliothek bekommen junge Beamte Schulungen an Computern. In dem schweren Bücherregal stehen Pokale und Kaffeetassen. Dennoch holte sich Bolius nach eigenen Worten wesentliche Inspirationen für sein Werk aus der Besichtigung der Räume.

„Schwul, schizophren und verliebt“, so schildert Bolius Hitler in seinem Roman. „Sein böser Charakter ist noch nie erzählt worden“. Nur eine Handvoll Werke überhaupt suchte bisher eine literarische Auseinandersetzung mit Hitler. Zuletzt hatte der US-Schriftsteller Norman Mailer einen Roman über Hitlers Vater Alois geschrieben, in dem auch Adolf Hitler bis zu seinem 14. Lebensjahr dargestellt wird.

Hirn und Psyche des Menschheitsverbrechers literarisch auszuleuchten, war ein Unterfangen, vor dem auch der 68-jährige Bolius „unendlich viel Angst hatte“. Deshalb verwebt er die fiktionale Handlung mit Reflexionen über seine Figuren und Historiker-Kommentaren. 30 Jahre trug er die Idee für das Projekt mit sich herum. Letztlich aber steht Bolius zu seiner Romanfigur. „Es ist ein Hitler, von dem ich glaube, dass er ziemlich der Persönlichkeit, die ich schildern wollte, entspricht.“

Das private und das Liebesleben des Nazi-Diktators konnte auch die Forschung bislang kaum aufhellen, ebenso wenig wie die seltsame Beziehung Hitlers zu Raubal. Hitler hatte eigentlich kein Privatleben, meinen Historiker. Obwohl er sich immer in Gegenwart zahlloser Menschen befunden habe, sei seine Biografie „auf geradezu unheimliche Weise menschenleer“, schrieb Joachim Fest in seinem Standardwerk über Hitlers Leben. Unter allen Frauen, die Hitlers Weg kreuzten, habe aber keine die Bedeutung Geli Raubals gehabt. Als diese 1927 zu Hitler stieß, war der spätere Reichskanzler schon 38 Jahre alt.

Die fröhliche, lebenslustige Nichte zog mit 17 Jahren mit ihrer Mutter zu „Onkel Alf“ zunächst nach Berchtesgaden. Nach dem Freitod der geliebten Nichte machte Hitler den Raum in der Wohnung am Prinzregentenplatz, in dem sie gestorben war, zu einer Kultstätte und stellte dort eine Büste auf. Jahr für Jahr schloss er sich an ihrem Todestag dort stundenlang ein, schrieb Fest.

Ungeklärt ist bis heute, ob Raubal Hitlers Geliebte war. In Bolius’ Buch ist Hitler ein hilfloser Mann, der Sex von Geli will. Der fiktional dargestellte Hitler ist wahnhaft, verklemmt, homosexuell. Hitler treibt die Nichte in den Selbstmord, weil sie seinen Vernichtungsplänen entgegensteht. „Das Böse zu erzählen ist möglich“, reflektiert der Autor in dem Buch. „Hitler war Mensch, wie jeder Mensch Mensch ist.“

Literaturangaben:
BOLIUS, UWE: Hitler von innen. Limbus Verlag, Hohenems 2008. 264 S., 19,80 €.

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