Von Rudolf Grimm
Das Gebiet, über das Adolf Hitlers Deutschland auf dem Höhepunkt seiner Macht Ende 1941 herrschte, reichte vom Nordkap bis Nordafrika und von der Atlantikküste Frankreichs bis nahe Moskau. Es übertraf an Ausdehnung und Bevölkerungszahl die USA und war wirtschaftlich produktiver als jede andere Landmasse. Obwohl Hitler auch über die damals stärkste Armee verfügte, wurde sein Ziel eines europäischen Imperiums unter deutscher Führung nicht Wirklichkeit. 1945 war das in dem von ihm 1939 begonnenen Krieg insgesamt eroberte Gebiet wieder verloren und Deutschland stand am Tiefpunkt seiner gesamten Geschichte.
Der an der Columbia University in New York wirkende britische Historiker Mark Mazower beschreibt in einem jetzt auch in deutscher Ausgabe mit dem Titel „Hitlers Imperium. Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus“ vorliegenden Buch die in Europa angestrebte „Neue Ordnung“ und die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse ebenso wie Leben und Leiden der Menschen in den beherrschten Territorien. Schwerpunkt des Buchs ist Osteuropa, dessen Bedeutung für Hitler sich schon früh in Äußerungen über den für Deutschland wichtigen „Lebensraum“ zeigt. 1941 äußerte er dann die Vorstellung, das neue Russland bis zum Ural werde „unser Indien“ werden, aber ein günstiger gelegenes als das britische. Er war damals zuversichtlich, ein vereinter Kontinent unter deutscher Führung könne es schließlich auch mit den USA aufnehmen und sich durchsetzen.
Warum seine Vorstellungen dann nicht realisiert wurden, hat verschiedene Gründe. Darunter sind die militärischen. Dass nämlich Deutschland den Krieg nach dem Ende der anfänglichen Siegesserie der Wehrmacht im Osten und seiner Ausweitung auf mehrere Fronten nicht mehr gewinnen konnte. Mazower widmet sich detailreich einem anderen Grund - den Zuständen in den besetzten Gebieten. Er verweist auf „die fast völlige Unfähigkeit der Deutschen, die politische Gelegenheit zu ergreifen, die sich ihnen bot“. Stattdessen machten sie sich „von Anfang an unbeliebt“.
Dabei hatte es 1940 aufgrund des Respekts vor den wirtschaftlichen und militärischen Erfolgen Deutschlands vielfach durchaus Kolaborationsbereitschaft gegeben. Ungarn und Rumänien, selbst Besatzungsmächte, kämpften an der Seite Hitlers. Auch baltische, weißrussische und ukrainische Nationalisten - in der Hoffnung auf späteren Lohn. Der Autor zitiert den holländischen Historiker Pieter Geyl mit der Aussage, der „Konflikt zwischen der Anziehung durch bestimmte Aspekte der Neuen Ordnung und der zunehmenden Enttäuschung über das praktische Handeln des Eroberers“ sei eines der zentralen Probleme von Hitlers Europa gewesen. Mazower schildert in einem Kapitel über „Helfer im Osten“ auch die Anwerbung freiwilliger Rekruten für die Ostfront. 125 000 Westeuropäer dienten schließlich in der Waffen-SS.
Wesentlich schuld am Scheitern von Hitlers Europa-Vorstellungen sind nach Darstellung des Briten eine fast ausschließliche Orientierung an deutschen Bedürfnissen und ein unverhüllt ausbeuterischer Nationalismus. Nicht einmal westeuropäischen Ländern waren legitime politische Ziele zugestanden. „Zugeständnisse bedeuteten in Hitlers Politikverständnis nur Schwäche, und andere Länder konnten nur Rivalen oder Konkurrenten sein.“ Der Autor in anderem Zusammenhang: „Der Nationalsozialismus basierte auf dem, was er für die unveränderlichen Wahrheiten des Rassengedankens hielt, und war eine Doktrin der immerwährenden Herrschaft, zu der es nur die Alternative von Unterdrückung oder nationalem Tod gab.“
Verbrechen nehmen in dem Buch großen Raum ein. Eigene Kapitel gelten dem Judenmord, dem Vernichtungskrieg im Osten, den ausländischen Zwangsarbeitern, auch dem Widerstand in den verschiedenen Länder.
1945 wird in einem der „Neuen Ordnung in der Weltgeschichte“ gewidmeten Teil als besonderer historischer Wendepunkt beschrieben. Hitlers einziges Ziel, das absolut herrschende Reich, konnte nach dem Urteil des Autors unmöglich überdauern. Während historische frühere Vorstellungen von einem „Großdeutschland“ oder einer Hegemonie Deutschlands vielleicht überdauert hätten. „Das Ergebnis war nicht nur der Zusammenbruch Deutschlands, sondern auch das Ende jener zwei Jahrhunderte dauernden Epoche, in der Europa die Welt beherrscht hatte.“
Literaturangabe:
MAZOWER, MARK: Hitlers Imperium. Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. Verlag C.H. Beck, München 2009. 666 S., 34 €.
Weblink: Columbia University New York