Von Wilfried Mommert
BERLIN (BLK) - Rolf Hochhuth hat mit seinem 1963 am Berliner Kurfürstendamm uraufgeführten Vatikan-Stück „Der Stellvertreter“ den wohl größten Theaterskandal im Nachkriegsdeutschland ausgelöst. Seitdem hat der „große deutsche Dramatiker in der Nachfolge Friedrich Schillers“ und „Streithansel“, wie ihn Claus Peymann (72) in einem Atemzug nennt, für Skandale anderer Art und eher am Rande der wirklichen Bühnenkunst gesorgt. So auch dieser Tage wieder mit seinem „Feldzug“ gegen Peymanns Berliner Ensemble. Dort lässt man ihn - „vertragswidrig“ wie Hochhuth als „Hausherr“ und Eigentümer der Immobilie sagt - sein Stück „Sommer 14“ über den Ersten Weltkrieg nicht spielen.
Hochhuth war schon oft und vielen ein Ärgernis oder gar, wie dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU) ein Verhängnis, den er mit seinen typischen NS-Archiv-Recherchen 1978 sogar zu Fall brachte. Als „Pinscher“ gehörte Hochhuth schon in den 60er Jahren zu den von Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU) beschimpften Schriftstellern, die es wagten, sich plötzlich auch in die sozialen Auseinandersetzungen der noch jungen Bundesrepublik einzumischen.
Aber auch im Austeilen war der heute 78 Jahre alte Bühnenautor (und Lyriker, wie er betont) noch nie besonders zimperlich. Da nannte er Papst Pius XII., dem er in seinem „Stellvertreter“ ein unchristliches Schweigen gegenüber Hitlers Massenmord an den Juden vorwarf, schon mal einen „satanischen Feigling“. Und sein lokaler Widerpart Peymann ist für ihn „die Unehrlichkeit in Person“ und ein „unanständiges Lebewesen“, wie es Hochhuth auch auf den Fluren von Landgerichten hören lässt. Hochhuth und Peymann sind durch die Eigentumsverhältnisse nach der Wende - Hochhuth sicherte sich über seine Ilse-Holzapfel-Stiftung das Eigentum an der Theater-Immobilie - auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden, getreu dem Motto von Karl Kraus „Das Wort Familienbande hat einen Beigeschmack von Wahrheit“. Hochhuth kann da auch als Autor mitreden als Verfasser des Stücks „Familienbande“ über einen fröhlichen Berliner Polit-Gauner.
Auf die Berliner Kulturpolitik ist der Dramatiker auch nicht gut zu sprechen, lasse sie doch zu, dass die traditionsreichen Kudamm-Bühnen abgerissen werden, wie Hochhuth lautstark kritisiert und dabei auch gleich den rot-roten Senat ins Visier nimmt. Sieht er doch dort „die brutalsten Kultur-Barbaren, die je über das Berliner Theater geherrscht haben“, am Werk. Und überhaupt: „Das Furchtbarste, was einem BRD-Gemeinwesen zustoßen kann, ist, wenn dort die SPD entscheidet, was sie an Kunst zulässt und was sie unterdrückt.“ Dabei sei sie doch einmal die Partei Willy Brandts gewesen, „der bis in seine Fingerspitzen Geist und Kultur verkörpert hat“.
Hochhuth hat auch nach dem „Stellvertreter“ durchaus immer wieder gesellschaftspolitischen Instinkt als Bühnenautor bewiesen wie zum Beispiel mit seinem Stück „Ärztinnen“, mit dem er schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert seine dramatische Wut gegen bestimmte Machenschaften im Ärztemilieu und in der Pharmaindustrie richtete. Oder mit seinem Wiedervereinigungs- und Treuhand-Stück „Wessis in Weimar“, das der inzwischen verstorbene Regisseur Einar Schleef 1993 gegen den Widerstand des Autors am Berliner Ensemble zum Bühnenerfolg machte. Denn ohne eine „Regie-Pranke“ offenbarten Hochhuths Stücke oft genug die von vielen Kritikern bemängelte „hölzerne Sprache“ und die Neigung zu einer Überfülle von Faktenmaterial in seinen „thesenhaften Stücken“.
Das schrieb ihm auch Peymann einmal ins Stammbuch, als er in einem Zeitungsbeitrag („B.Z.“) meinte, Hochhuth solle statt ständig Streit zu suchen endlich wieder mal ein gutes Theaterstück schreiben. Seine Tragik sei es wohl, dass ihm nach dem „grandiosen Wurf“ mit dem „Stellvertreter“ nie mehr ein zweites Stück von ähnlicher Qualität geglückt sei. Stattdessen habe er sich mit dem Berliner Ensemble wie Richard Wagner „ein eigenes Bayreuth“ schaffen wollen, „aus dem pausenlos die Hochhuth-Stücke heraussprudeln“. Aber Hochhuth sei „ein Narr“ und Don Quichotte, der nicht in der Wirklichkeit lebe, „ein verzweifelter Clown“, aber eben auch „ein kämpferischer Theatermacher, auf den Berlin stolz sein kann“ und, wie Peymann seinerzeit (zum 75. Geburtstag Hochhuths 2006) auch meinte: „Ich liebe ihn ja auch irgendwie. Man muss ihn lieben, auch wenn man ihn kaum erträgt.“