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Hochpolitisches Gemüsebeet

„Der Kampf ums Brot“: Wolfgang Hirn zur Nahrungsmittelkrise

© Die Berliner Literaturkritik, 01.12.09

Von Dorothée Junkers

Als Präsidentengattin Michelle Obama im März in Washington vor laufenden Kameras ein Gemüsebeet anlegte, war das weit mehr als ein PR-Auftritt der derzeit berühmtesten Hausfrau der USA. Die Botschaft der First Lady, gelegentlich wieder den eigenen Gärtner und Koch zu geben, ist hochpolitisch. In Zeiten, in denen Rezession, Klimawandel oder Immigration die Schlagzeilen als Dauerprobleme beherrschen, ist die Nahrungsmittelkrise aus der Massenwahrnehmung verschwunden. Ein Fehler, meint Bestseller-Autor Wolfgang Hirn. „Alles Elend hängt zusammen.“

In seinem neuesten Werk „Der Kampf ums Brot“ beschreibt der Journalist anschaulich, wie diese Krisen zusammenhängen und wie der Hunger in aller Welt mittelfristig die wichtigste Herausforderung ist - auch für Europa. Im „europäischen Schlaraffenland“ galten billige Lebensmittel lange als Naturgesetz, schreibt Hirn. Bis zu den Preisexplosionen für Milch, Mais oder Weizen im Frühsommer 2008. Im armen Süden kam es zu Hungerrevolten, in Haiti stürzte die Regierung.

Dass jetzt wegen der Rezession fallende Preise ein Ende der „Ernährungskrise“ bedeuten könnten, sei falsch: „Wir erleben derzeit eine epochale Veränderung auf dem globalen Nahrungsmittelmarkt: Die Nachfrage übersteigt erstmals wieder seit langer, langer Zeit das Angebot.“ Und die Lage werde immer schlimmer werden. Folge seien stetig steigende Preise und mehr Hunger - auch im Westen.

Wenngleich ein roter Faden fehlt und Hirn sich teils verzettelt, liest sich der ambitionierte Rundumschlag unterhaltsam, achtet der preisgekrönte Wirtschaftsredakteur auf gelungene Übergänge und szenische Einstiege in die dank flüssiger Schreibe keineswegs trockene Materie. Hirn nimmt uns mit auf eine Reise von Canberra bis Nairobi. Zwischen Oktober 2008 und März 2009 besuchte er 26 Länder, sprach mit Bauern, Politikern, Managern und Wissenschaftlern.

Beklemmend sind die Fakten: 6,8 Milliarden Menschen leben auf unserem Planeten, um das Jahr 2050 herum könnten es 9,2 Milliarden sein. Schon jetzt hungert eine Milliarde Menschen. Doch angesichts von Wassermangel, Erosion, Überdüngung, Verstädterung und Versteppung schwinden allerorten Größe und Erträge des Ackerlandes. Zugleich wächst eine globale Mittelschicht heran, die immer mehr Fleisch- und Milchprodukte konsumiert - schon jetzt fressen aber die 18,5 Milliarden Hühner, Schweine und Rinder fast 40 Prozent der globalen Getreideernte. Als dritter „Mitesser“ buhlt die Biosprit-Industrie um unsere Feldfrüchte. „Wir müssen Prioritäten setzen“, fordert Hirn. „Nahrungsmittel gehören auf den Teller und nicht in den Tank.“

Es ist ein Teufelskreis, und es gibt allzu viele Tabus oder ideologische Grabenkämpfe: Sollen und können die Ernteerträge weiter gesteigert werden? Werden wir irgendwann In-Vitro-Fleisch verzehren? Dürfen Araber und Asiaten in Afrika Ackerland aufkaufen und Westeuropäer in der Ukraine? Fisch ist eine gesunde Alternative zum Fleisch - aber was ist mit der Überfischung der Meere?

Hirn fordert, mit Tabus zu brechen, endlich vorurteilsfrei etwa über die grüne Gentechnik zu sprechen - und die Bevölkerungsfrage. „Wir sind zu viele Menschen auf dieser kleinen Erde.“ Für Hirn ist die Überbevölkerung eine der wichtigsten Ursachen für den Hunger, und er zeigt auf, wie es weder im Interesse der Kirche noch der afrikanischen Autokraten ist, am Bevölkerungswachstum etwas zu ändern („Mehr Einwohner, mehr Anhänger“).

Der Einzelne im Westen, meint Hirn, müsse sich bewusst werden, „dass wir obszön viele Lebensmittel wegschmeißen“, wieder mehr selbst kochen, Früchte aus der Gegend und der Saison kaufen. Doch diese Empfehlungen am Ende des Buches lassen den Leser im „satten Westen“ stolpern. Hat dieser doch schon bei der Diskussion über die Überbevölkerung versucht, die nationale Brille abzusetzen und die in Europa akute Diskussion über die kinderlosen Akademikerinnen zu vergessen. Denn warnt Hirn etwa in den Passagen über den steigenden Fleischverzehr in Asien noch vor einer „neokolonialistischen Attitüde“, kommt nun das Wort Überalterung im Westen aber nicht vor.

Einen weiteren Bezugspunkt zum Geschehen in der EU lässt Hirn aus: Die scheinbare Losgelöstheit der europäischen Landwirtschaft zur steigenden globalen Nachfrage. Die EU-Agrarpolitik finanziert Europas Bauern auch brachliegende Flächen. Besonders die Milchbauern werden mit Milliarden subventioniert - und arbeiten trotzdem nicht kostendeckend. Während anderswo die Menschen verhungern und vor allem die Chinesen immer mehr Joghurt essen, schütten streikende europäische Milchbauern regelmäßig literweise Milch in den Gulli.

Literaturangabe:

HIRN, WOLFGANG: Der Kampf ums Brot. Warum die Lebensmittel immer knapper und teurer werden. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2009. 288 S., 14,95 €.

Weblink:

S. Fischer Verlag


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