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Tod und Verklärung des Horst Wessel

Die Geschichte um den Kult eines Nazis der ersten Stunde

© Die Berliner Literaturkritik, 12.10.09

Von Rudolf Grimm

Am 14. Januar 1930 wurde in Berlin die Türklinke des Untermietzimmers, das der 22 Jahre alte SA-Mann Horst Wessel in Friedrichshain mit einer ehemaligen Prostituierten bewohnte, gedrückt. Als Wessel die Tür öffnete, traf ihn ein Schuss ins Gesicht. Schütze war der 31 Jahre alte Kommunist Albrecht Höhler. Fünf Wochen später starb der SA-Führer des Sturms 5 an einer von der Verletzung ausgegangenen Blutvergiftung. Er war nun für die Nazis ein „Märtyrer“ und „Blutzeuge der Bewegung“.

„Du wirst auferstehen“, sagte Gauleiter Joseph Goebbels pathetisch am Grab. Jedenfalls wurde er nach Adolf Hitlers Machtantritt 1933 in ganz Deutschland eine Kultfigur. Als Verfasser des mit „Die Fahne hoch!“ beginnenden SA-Kampflieds, das damals nach dem „Deutschlandlied“ als zweite Nationalhymne gesungen wurde, war er im Bewusstsein der Deutschen in der Nazi-Diktatur stets präsent.

Daniel Siemens, 34 Jahre alter Historiker am Arbeitsbereich „Geschichte moderner Gesellschaften“ der Universität Bielefeld, hat ein jetzt erschienenes Buch über das kurze Leben und den Tod Horst Wessels und was danach folgte geschrieben - eine imponierende Leistung der Materialbeschaffung und -auswertung. Es ist ein spannend zu lesendes Stück Zeitgeschichte - beginnend mit den 1920er Jahren und bis weit in die Zeit nach 1945 reichend.

Horst Wessel trat mit 19 Jahren in die SA ein. Er war der Sohn eines evangelischen Pfarrers, dessen autoritäres, nationalistisches Weltbild den Heranwachsenden stark beeinflusst hatte. Ein halbes Jahr vor seinem SA-Beitritt hatte er sich an der Friedrich-Wilhelms- Universität im Fach Rechtswissenschaften eingeschrieben. Doch gewann dann seine politische Aktivität zunehmend Vorrang vor dem Studium. Im Frühjahr 1929 brach er es ganz ab. Der Friedrichshainer SA-Verband galt als brutale Schlägertruppe, als „Rollkommando“. Prügeleien zwischen politischen Gegnern, die sich zu Saalschlachten entwickeln konnten, waren damals im proletarischen Berliner Osten alltäglich.

Wessel fühlte sich politisch zu dem bei den Berliner Nationalsozialisten dominierenden linken Flügel hingezogen, der sozialistische Programmelemente mit einem aggressiven Nationalismus zu vereinbaren suchte. Wessel zeigt sich 1929 in einem 70 Seiten umfassenden autobiografischen Manuskript von der „großen sozialen Verelendung“ in Berlin berührt. Er bezeichnet sich als einen Sozialisten. Auch im „roten Lager“ sieht er viele „Idealisten“. Zudem wirkten radikale antikapitalistische Äußerungen damals auf ihn. Doch war sein Sozialismus ein nationaler.

Albrecht Höhler und zwei der ihn im Januar 1930 zu Wessels Zimmer begleitenden Männer wurden vom Kriminalgericht Berlin-Moabit wegen gemeinschaftlich begangenen Totschlags zu Zuchthausstrafen verurteilt: Höhler und einer seiner Mitstreiter zu je sechs Jahren und einem Monat, der andere zu fünf Jahren und einem Monat. In einem zweiten Prozess erging 1934 gegen zwei weitere Männer wegen Teilnahme an einem gemeinschaftlich begangenen Mord das Todesurteil. Sie wurden hingerichtet. Sie hatten zugegeben, mit Höhler und anderen Männern zu dem Haus gegangen zu sein, in dem Wessel wohnte. Ein klarer Fall von
Justizmord, urteilt Siemens.

Höhler wurde ebenfalls noch Mordopfer. Im August 1933 brachte man den im schlesischen Zuchthaus Wohlau Einsitzenden zum Gestapoamt in Berlin. Nach wochenlangen Verhören und wohl auch Folterungen sollte er nach Gestapo-Angaben zurück nach Schlesien. Dort kam er nie an. 1934 wurde sein von Kugeln durchlöcherter Körper, einen halben Meter tief vergraben, im Bezirk Frankfurt gefunden. Unter den acht bis zwölf Männern, die den Transport begleitet hatten, waren Gestapoamtsleiter Rudolf Diels und auch Prinz August Wilhelm von Preußen, ein Sohn Kaiser Wilhelms.

Ein aufschlussreiches Stück Zeitgeschichte ist auch die Teilnahme eines Teils der evangelischen Kirche am Kult der NS-Zeit um Wessel. In einigen Gemeinden wurde zum Abschluss von Reformationsfeiern sein Lied gesungen. Besonders begeisterte man sich für den Kult im protestantischen Milieu von Bielefeld, der Geburtsstadt Wessels. In den dortigen Bodelschwingh'schen Anstalten, Ausbildungsstätte für Diakone, galt er damals als Identifikationsfigur.

Literaturangabe:

SIEMENS, DANIEL: Horst Wessel - Tod und Verklärung eines Nationalsozialsten. Siedler Verlag, München 2009. 352 S., 19,95 €.

Weblink:

Siedler Verlag


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