Von Sabine Glaubitz
Das gemeinsame Buch des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq und des Philosophen Bernard-Henry Lévy „Ennemis publics“ (Volksfeinde) ist nicht nur ein genialer Marketing-Coup. Es ist besser als befürchtet. Denn statt triefender Selbstgefälligkeit und Selbstbemitleidung als Opfer der Medien wird der Leser mit philosophischen Abhandlungen über Blaise Pascal und Michel Foucault konfrontiert, mit tiefgründigen Gedenken über Angst und Scham und mit einem intellektuellen Schlagabtausch, der über den Narzissmus der beiden Medienstars hinwegsehen lässt.
Das Buch wurde seit Wochen als das Ereignis der französischen Literatursaison hochgespielt. Mitte August kündigte das Verlagshaus Flammarion ein Buch „XXX“ zweier berühmter Autoren mit einer sensationellen Startauflage von 150.000 Exemplaren an – „du jamais vu“ in der französischen Verlagsgeschichte. Und statt am 8. Oktober kam das Buch eine Woche früher auf den Markt.
Bei dem Buch der beiden Intellektuellen handelt es sich um einen Briefwechsel, der in Brüssel am 26. Januar 2008 beginnt. In seinem ersten Schreiben an Lévy bereitet Houellebecq auf seine direkte Art und Weise das Sujet des Buches vor. Er beschreibt sich als Nihilist, Reaktionär, Zyniker, Rassist und unerträglicher Weiberfeind, der vor einigen Jahren „nur durch eine unwahrscheinliche Geschmacksverirrung hilfloser Journalisten“ zu literarischem Ruhm gelangt sei und fasst zusammen: „Wir sind zwar ganz unterschiedliche Typen, aber eines haben wir gemeinsam: Wir sind zwei recht verachtungswürdige Individuen.“ Die Debatte ist eröffnet und der Ton gegeben: präzise, direkt, ironisch, jedoch weniger zynisch als sonst.
Lévy, in Frankreich nur nach seinen Initialen BHL genannt, schlägt umgehend zurück und stellt in seinem Antwortbrief nur einen Tag später die Frage, die dem Buch als Leitfaden dient: „Warum so viel Hass, vor allem gegen Schriftsteller.“ Und so wird der Bogen von Sartre, Cocteau und Baudelaire gespannt. Dabei offenbart Houellebecq seinen widersprüchlichen Wunsch, geliebt zu werden und zu missfallen, und BHL gesteht, dass er den Angreifern gegenüber ein feuersicheres, gepanzertes Ego habe und eher einen kriegerischen Sinn. „So stelle ich mir die Schriftsteller vor, die ich bewundere: Leben und sterben mit der Waffe in der Hand?“
Nach einer ersten zwar radikalen, aber auch manchmal zu selbstgefälligen Selbstanalyse, gewinnt der Briefwechsel Mitte Februar an emotionaler Tiefe. Houellebecq will das Genre wechseln und schlägt eine „Geständnisliteratur“ vor, die beide dazu bringt, über ihre Kindheit zu schreiben und ihre Väter zu porträtieren. Lévys Vater wuchs als armes jüdisches Kind in Algerien auf und wurde nach der Flucht in Frankreich als Holzhändler reich. Houellebecq, Sohn eines Bergführers und einer Anästhesistin, wird mit sechs Jahren der Großmutter väterlicherseits anvertraut. Väter, die zurückgezogen lebten und deren Söhne heute darüber schimpfen, dass sie im Rampenlicht stehen, nach dem sie beide anfangs leidenschaftlich gesucht haben.
Immer wieder kommen Houellebecq und BHL auf dem mehr als 300 Seiten langen Buch auf die Journaille und Literaturkritiker zu sprechen, die sie verachten. Vor allem Houellebecq geht nicht zimperlich mit den Journalisten um, die er Idioten und Schurken schimpft und alle namentlich erwähnt. Weshalb sich die Literaturwelt auf einen Vergeltungsschlag der Betroffenen einstellt, der bis jetzt noch ausgeblieben ist.
Das Buch ist das Ergebnis zweier Kopfarbeiter, die unterschiedlicher gar nicht sein können: Houellebecq, der als pessimistisch und emotional verarmter Provokateur gilt, und BHL, der jugendlich wirkende, brillante Moralist im weit geöffnetem weißem Hemd, der sich stets für Menschenrechte einsetzt. Doch beide vereint mehr nur als das selbst auferlegte Stigma „Volksfeind“. Beide sind stark ausgeprägte narzisstische Persönlichkeiten. So meint denn Houellebecq: „Wenn ein Land stark und selbstsicher ist, akzeptiert es ohne aufzumucken von seine Schriftstellern gleich welche Dose Pessimismus. Das Frankreich der 50er Jahre hat anstandslos Personen wie Camus, Sartre, Ionesco und Beckett ertragen. Das heutige Frankreich tut sich schwer damit, Leute wie mich zu ertragen.“
Literaturangaben:
HOUELLEBECQ, MICHEL / LEVY, BERNARD-HENRY: „Ennemis publics“. Flammarion/Grasset, Paris 2008. 340 S., 20 €
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