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„Ich musste viel probieren“

Patrick Findeis spricht über seinen Debütroman „Kein schöner Land“

© Die Berliner Literaturkritik, 25.09.09

Im Juni 2009 ist Patrick Findeis’ Debütroman „Kein schöner Land“ erschienen. Darin erzählt der in Klagenfurt mit dem 3-Sat-Literaturpreis ausgezeichnete Autor Geschichten vom Scheitern aus einer von Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit gezeichneten Provinzgemeinde. Im BLK-Interview spricht Patrick Findeis über seine Schreibintention, das Finden der richtigen Sprache und die Arbeit am Leipziger Literaturinstitut.

BLK: Herr Findeis, Ihr Debütroman heißt „Kein schöner Land“. Wie kam es zu dem Titel?

Patrick Findeis: Zuerst hatte ich den Titel „Gambrinus“ geplant, wie auch die Kneipe in meinem Buch heißt. Aber eigentlich wollte ich es so nennen wegen der Sage: Nach ihr soll der Fürst, der das Bierbrauen erfunden hat, so geheißen haben. Ich fand, dass das ganz gut zur Hauptfigur Uwe passte. Im Laufe der Arbeit war es jedoch zu wenig, denn die Geschichte hatte sich auf mehrere Figuren ausgedehnt. Auch die Umgebung wurde immer wichtiger, und so fiel mir das Volkslied ein.

Durch den Titel wird die Vorstellung einer ländlichen Idylle erzeugt. Viele Kritiker meinen, dass es Ihre Absicht gewesen sei, eine Idylle aufzubauen um sie dann wieder zu zerstören.

Ich wollte kein Buch schreiben, in dem die Provinz besonders schlecht wegkommt. Dass es in der Provinz spielt, hat natürlich seine Gründe. Der Titel ist ironisch gemeint: Man kann ihn ja auch „Kein schönes Land“ lesen, das ist der Subtext, der da mitschwingt. Irgendwelche Provinz- oder Idyllenvorstellungen zerschlagen, muss ich gar nicht, das haben schon genug andere Autoren vor mir getan. Schließlich hängt es auch davon ab, wo man hineingeboren wird, was für einen Idylle ist.

Und weshalb haben Sie die Provinz als Schauplatz gewählt?

Das hat sich daraus ergeben, dass in der Provinz das soziale Netz viel enger und die soziale Kontrolle viel stärker ist. Dort ist eine Drogengeschichte eine viel verpöntere Angelegenheit als in der Großstadt. Natürlich spielt es auch eine Rolle, dass ich dort herkomme.

War es Ihr Anliegen, dass sich der Leser in dem Roman wieder findet? Ich denke hierbei besonders an die sehr realistisch gestalteten Kindheits- und Jugenderinnerungen.

Diesen Wiedererkennungswert wollte ich schon erzielen. Mein Anliegen war es schon auch, dass sich jemand, der zum Beispiel in Berlin-Neukölln aufgewachsen ist, auch auf eine Weise darin wieder finden kann.

Um dieses Ziel zu erreichen, benötigten Sie eine passende Ausdrucksweise. Wie schwierig war für Sie die Suche nach einer geeigneten Sprache?

Es hat eine Weile gedauert. Es war im Grunde viel üben – viel lesen, viel schreiben, viel ausprobieren. Ich hatte von dem Roman auch eine erste Fassung geschrieben, die ich dann verworfen habe. Die Probleme dieser ersten Fassung hatten zwar mehr mit der Konstruktion, aber auch mit der Sprache zu tun. Am Anfang hatte ich das Gefühl, ich will etwas sagen, aber ich kann es noch nicht – ich will etwas schreiben, aber es kommt im Endeffekt nicht so heraus, wie ich will.

Und wann kam es zum Durchbruch?

Da hat mir auch das Literaturinstitut in Leipzig sehr geholfen. Durch die Beschäftigung mit Literatur und dem eigenen Schreiben kam dann auch eine Ausdrucksweise, mit der ich erstmal einverstanden sein kann. Sie kann zwar noch besser werden, aber befindet sich jetzt auf einem Level, bei dem ich sagen kann: Jetzt ist es so gut, wie ich es kann, und ich kann jetzt auch das sagen, was ich will – vielleicht noch nicht zu hundert Prozent, aber in einem bestimmten Rahmen.

Wie lange waren Sie dann insgesamt mit der Arbeit an dem Buch beschäftigt?

Angefangen habe ich im Frühjahr 2005 und fertig war es im Frühsommer 2007. Nachdem ich dann vergangenes Jahr einen Verlag für das Buch gefunden hatte, habe ich noch einmal ein halbes Jahr mit der Lektorin daran gearbeitet. Also es waren schon gut drei Jahre.

Sie haben das Literaturinstitut in Leipzig erwähnt. Inwieweit hat es Ihnen bei der Arbeit geholfen?

Mir hat es sehr geholfen. Bevor ich nach Leipzig ging, habe ich in Köln gewohnt. Dort kannte ich niemanden, der schreibt oder sich wirklich ernsthaft damit beschäftigt. Und wenn man dann nach Leipzig kommt, ist das plötzlich umgekehrt: Auf einmal kennt man niemanden mehr, der nicht schreibt. Was natürlich, da ich es ernsthaft machen wollte, sehr gut war. Überall spricht man über Literatur und die eigenen Texte: in den Seminaren, aber auch danach in der Kneipe, zu Hause oder wo auch immer. Zumindest musste ich erst finden, über was ich eigentlich genau schreiben will. Das Literaturinstitut hat die Zeit der Suche schon enorm verkürzt. Es ist kein Allheilmittel, aber mir hat es schon sehr viel gebracht.

Im Jahr 2008 haben Sie am Bachmann-Preis in Klagenfurt teilgenommen. Wie wirkte sich diese Erfahrung auf Ihr Schreiben aus?

Der Grund für meine Bewerbung zum Bachmann-Preis war, dass ich für mein Buch zunächst keinen Verlag finden konnte. Eine Autoren-Freundin von mir meinte deshalb: „Findeis, du musst zum Bachmann-Preis!“ Außerdem kannte ich den Autor Burkhard Spinnen, der in Klagenfurt Juror ist und mich vorgeschlagen hat. Der Hauptgrund war also, dass ich einen Verlag finden wollte. Natürlich ist es dann aber auch eine Bestätigung, vor allem wenn man relativ viele Absagen von Verlagen bekommen hat – nicht nur relativ viele, sondern etliche.

Hatte diese Erfahrung direkten Einfluss auf den Schreibprozess?

Da das Buch damals bereits zu neunzig Prozent stand und ich danach hauptsächlich umgearbeitet habe, hat es mich beim eigentlichen Schreiben gar nicht so sehr beeinflusst. Ich habe jetzt mit der Arbeit an einem zweiten Roman begonnen und da beeinflusst mich eher die Reaktion auf „Kein schöner Land“. In der Zwischenzeit ist auch sehr viel passiert und es gab auch wieder einen neuen Bachmann-Preis. In der Hinsicht beeinflusst mich eher die Kritik an dem fertigen Buch.

Verraten Sie schon etwas über das zweite Buch?

Das ist mir noch zu frisch. Ich weiß es selber noch nicht so richtig.

Kommen wir auf den Inhalt des Buches. Im Eingangszitat von Faulkner („Ist es also verwunderlich, daß diese Welt vor allem von den Toten bevölkert ist?“) geht es um die Toten, die immer noch da sind. Dieses Zitat führt mich zu Ihrer Figur Angelika, deren Leben und Gedanken nur um die Toten zu kreisen scheinen. Ist diese Nähe zu den Verstorbenen ein zentraler Aspekt von „Kein schöner Land“?

Es gibt noch diesen viel berühmteren Satz von Faulkner, den ich jedoch gerade wegen seiner Berühmtheit nicht ausgewählt habe: „Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen.“ Der Gedanke mit der Vergangenheit war von Anfang an da – vor allem dieses Gefühl, dass die Vergangenheit und insbesondere die Schuld, die dort liegt, immer wiederkehren. Durch diese unaufgearbeitete Vergangenheit, die immer präsent ist, ist auch keine Zukunft möglich. Die Zukunftsfähigkeit geht verloren oder ist einfach nicht vorhanden. Das war beim Schreiben schon ein Grundaspekt.

Sind die Figuren in Ihrem Roman eher durch die Vergangenheit befangen als durch Konventionen oder ihre Sprach- und Hilflosigkeit?

Das spielt alles Hand in Hand. Durch ihre Sprachlosigkeit, ihr Gefangensein in Konventionen haben sie quasi die Vergangenheit, mit der sie jetzt zu kämpfen haben, herbeigeführt. Trotzdem können sie nicht daraus lernen. Es ist eine Art Kreisel. Das war für mich auch ein Grund dafür, die Geschichte nicht an einer Zeitachse entlang anzulegen, sondern immer wieder die Vergangenheit im Text zurückkehren zu lassen.

Die Figuren befinden sich also in einer Art Kreisel, aus dem sie zwar heraus wollen, was ihnen jedoch nicht gelingt. Auch wenn sie wie Uwe dagegen ankämpfen und etwas Neues aufbauen wollen, scheitern sie. War diese Hoffnungslosigkeit auch ein Hauptmotiv oder hat sich das erst beim Schreiben ergeben?

Das hat sich mehr oder weniger ergeben. Ich höre oft, dass der Roman so düster ist, aber ich empfinde das gar nicht so und wollte es auch nicht so anlegen. Es gibt einige Figuren, die da heil heraus kommen. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt so hoffnungslos finde – na ja, der Uwe hatte einfach Pech irgendwie. Sein Pech ist eben, dass er Pech hat. Er hofft ja auch bis zum Ende. Es geht zwar zum Schluss in die Hose, aber er kämpft immer wieder und gibt auch  dann nicht auf, nachdem er den größten Tritt von seiner Mutter bekommt – er versucht sich weiter einzurichten und das Leben zu führen, das er sich wünscht.

Über Ihren Roman wurde schon einiges geschrieben. Was sagen Sie zu Schlagwörtern wie „Hölle der Provinz“, „Hölle auf Erden“, „Hier gibt es kein Entrinnen!“, die in einigen Rezensionen auftauchen?

Das sind natürlich Schlagworte, die man so braucht, die natürlich auch „catchy“ sind. „Die Hölle der Provinz“ klingt spannender als „Übel mitgespielt im Dorf“. Die Hölle ist natürlich für jeden etwas anderes. Wenn man es jetzt irgendwie vom Sartre’schen Standpunkt aus sehen würde, von wegen „die Hölle sind die Anderen“ – dann sind es immer die anderen, dann würde es auch hinhauen.

Sie haben also nicht im Sinn gehabt, einen Enthüllungsroman über die Provinz zu schreiben und damit zu zeigen, wie schlecht es da ist. Wenn Uwe nach Ihren Worten also nur Pech gehabt hat, geht es dann doch im Grunde nur um das Schicksal.

Pech gehabt, ist natürlich auch etwas flapsig ausgedrückt. Seine Mutter ist diejenige, die nicht viel richtig macht. Das ist natürlich tragisch, denn sie will ihm ja nichts Böses. Sie denkt zu viel an sich. Das ist ein Zusammenspiel davon, das Beste zu wollen und das Schlechteste zu erreichen – und dann vielleicht auch eben nicht anders zu können. Vielleicht hat sie es nicht anders gelernt und überdenkt ihr Verhalten deshalb auch nicht. Es ist in gewisser Weise auch ein Generationenkonflikt.

Herr Findeis, vielen Dank für das offene Gespräch.

Von Carolin Beutel


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