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Im Dienste der Ästhetik

„Literatur veranstalten und verlegen heißt seit jeher Existenzgefährdung“

© Die Berliner Literaturkritik, 25.06.10

BERLIN (BLK) - Moritz Malsch, geboren 1976 in Berlin, und Tom Bresemann, geboren 1978 in Berlin, leiten seit 2006 die Lettrétage in Kreuzberg. Malsch hat Neuere Deutsche Philologie und Musikwissenschaft an der TU Berlin studiert und danach als Lektor und Übersetzer gearbeitet. Bresemann ist ebenfalls studierter Germanist. Er ist Mitbegründer der S³ LiteraturWerke und hat 2007 sein Lyrikdebüt „Makellos“ veröffentlicht. Die Lettrétage gilt als eine der wichtigsten Lesebühnen in Berlin. Sie finanziert sich durch Spenden, Projektförderungen und das große Engagement aller Beteiligten. Aktuell läuft das Projekt „Datenschreiber“, an dem u. a. die Autoren Ann Cotten, Ulf Stolterfoht und Kathrin Röggla beteiligt sind.

BLK: Seit September 2006 gibt es die Lettrétage in Berlin-Kreuzberg. Wie kamt ihr auf die Idee, ein Literaturhaus zu gründen?

Tom Bresemann: Aus meiner Sicht: Gelegenheit macht Betrieb(ler), könnte man sagen. Moritz Malsch wies mich im Sommer 2006 auf die einzigartige Immobilie hin. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon einige Jahre mit den S³ LiteraturWerken Literatur veranstaltet, Ringbahnlesungen, Konferenzen. Moritz zeigte mir den Salon und das Haus, sofort erlag ich dem Charme, und teilte darüber hinaus seine Vision von einem klassischen Leseraum für jüngere, also vor allem gegenwärtliche, deutschsprachige Literatur, abseits der vielen Kneipen und Cafés. So begannen wir gemeinsam ab Oktober 2006 ein Programm auf die Beine zu stellen.

Moritz Malsch: Ich hatte damals nur ein Büro für meine freiberufliche Tätigkeit gesucht. Der Besitzer der wunderschönen Gründerzeitvilla war ein alter Bekannter meiner Familie, allerdings hatte seit Jahren kein Kontakt bestanden. Er hatte ein Schild herausgehängt, dass Büroräume zu vermieten seien, also klingelte ich einfach. Wir kamen wirklich wie die Jungfrau zum Kinde und standen anfangs auch - ich spreche mal für mich - wie der Ochs vorm Berge. Alles weitere funktionierte nach dem Prinzip „Learning by burning“, wie es mein Kollege Tom auszudrücken pflegt.

Mit dem Literaturhaus in der Fasanenstraße, dem Literarischen Colloquium (lcb) am Wannsee und dem Literaturforum im Brecht-Haus gibt es bereits einige etablierte Literaturvermittler in Berlin. Man hört zuweilen, dass diese Literaturhäuser untereinander nicht das beste Verhältnis haben. Wurdet ihr mit offenen Armen empfangen?

Tom Bresemann: Wo hört man das denn? Also ich kann mich nicht beschweren. Im Gegenteil, wir kooperieren lose z. B. mit dem lcb bzw. dem vom lcb ins Leben gerufenen Netzwerk HALMA, haben schon mehrfach Veranstaltungen mit Stipendiaten des lcb oder des Berliner Künstlerprogramms gemacht und legen auch gegenseitig die Monatsprogramme aus. Auch mit der literaturwerkstatt verbindet uns ein freundschaftliches Verhältnis, trotz der „Konkurrenz“. Im Alltag des Veranstaltens greift man sich in Berlin schon auch gegenseitig unter die Arme. Und ich empfinde diesen Alltag als ein großes Arbeitsfeld, auf dem wir uns, wie auch alle anderen im Dienste der Ästhetik betätigen dürfen, jeder mit seinen Mitteln, seinen Inhalten und Schwerpunktsetzungen.

Moritz Malsch: „Offene Arme“ hätte ich mich mir gar nicht gewünscht. Das klingt zugleich nach An-die-Hand-Nehmen und nach Vereinnahmen. Nein, zu Beginn bestand eigentlich wenig Kontakt. Wir haben unser Ding gemacht und die anderen ihres. Später ist uns eigentlich dort, wo es Kontakte und Kooperationen gab, immer mit freundschaftlichem Respekt begegnet worden.

Tom Bresemann: Im Zweifel ist das „Überangebot“ Berlins für das Publikum in jedem Fall eher ein Glücks- als ein Problemfall. Für die Veranstalter ist es Alltag, dass man bis zu fünf hochkarätige Konkurrenzveranstaltungen pro Leseabend hat, man gewöhnt sich daran, sucht Wege, damit umzugehen, Publikum zu binden. Da geht es uns nicht anders als den anderen. Das ist kein Grund, kein gutes Verhältnis zu haben.

Moritz Malsch: Ich glaube auch nicht, dass sich die Veranstalter das Publikum gegenseitig wegnehmen. Berlin ist eine große Stadt. Und ein gutes, schlüssiges Programm wird in der Regel sein Publikum finden, auch wenn man es nicht immer garantieren kann. Prominent besetzte Termine wie das Internationale Literaturfestival Berlin im Herbst versuchen wir in unserem Terminkalender auszusparen.

Ihr betont immer wieder, dass die Lettrétage ein „junges Literaturhaus“ ist. Wie ist das Wort „jung“ zu verstehen: junger Geist oder junger Körper? Oder eine potente Mischung aus beidem?

Tom Bresemann: Mich reizt an unserem „Jungsein“ nicht so sehr die Knackigkeit des Begriffs und der Beteiligten, mich interessiert das Maß an Offenheit, an Chance, welches im Begriff „jung“ anklingt. Ein kurzer Blick auf die vielen verschiedenen AutorInnen der letzten Jahre zeigt ja deutlich, dass wir keine Scheuklappen gegenüber älteren, auch „arrivierten“ Kollegen tragen. Wir wollen durchlässig bleiben, trotz unserer Fokussierung in unseren Projekten, durchlässig und aufnahmefähig. Leidenschaft, Neugier – das wären so Begriffe, die „jung“ meinen können.

Moritz Malsch: Es geht uns nicht darum, Jungsein und Jugendlichkeit zu fetischisieren. Der älteste Autor, der bei uns gelesen hat, war Giwi Margwelaschwili, der schon über achtzig ist. Jung sind wir, weil es uns noch nicht lange gibt. Jugendlich ist vielleicht das Wagnis des ganzen Unternehmens. Jung bedeutet vielleicht auch, im besten Sinne (noch) nicht komplett professionalisiert zu sein.

Ich habe gelesen, dass ihr gerne mit Autoren zusammenarbeitet, die am Beginn ihrer Laufbahn stehen. Finden diese Autoren an anderer Stelle kein Gehör?

Tom Bresemann: Es gibt jede Menge Möglichkeiten, für AutorInnen Gehör zu finden. Einfach in die nächste Kneipe gehen und eine Lesung veranstalten. Wir sind schließlich in Berlin, das passiert jeden Tag. Bei uns bekommt man aber etwas Anderes.

Moritz Malsch: Ich meine das gleiche, sage es aber anders: Findet man wirklich Gehör, wenn man in der nächsten Kneipe liest, während der Milchschäumer oder der Zapfhahn im Hintergrund aktiv ist? Wo nur Leute im Publikum sitzen, die selbst gleich einen Text vorlesen werden? Die Autoren, die bei uns lesen, sind in der Regel alles andere als Anfänger - sie schreiben seit Jahren und haben sich in der Szene ein Renommee erarbeitet. Allerdings haben viele von ihnen noch keine eigene Buchpublikation, viele würden daher wahrscheinlich nicht von den etablierten Häusern eingeladen werden.

Im März 2010 habt ihr die erste Argentinisch-Deutsche Schriftstellerkonferenz „Botenstoffe“ veranstaltet. Wie sieht euer Programm im Sommer und Herbst aus, gibt es weitere Höhepunkte?

Moritz Malsch: Aktuell laufen zwei größere Projekte: Im Projekt „Datenschreiber“ formt sich, wie es im Ankündigungstext so schön heißt, „der Sternenstaub der Geschichte zu schmutzigen Schneebällen“. Beteiligte Autoren sind u. a. Ann Cotten, Bert Papenfuß, Ulf Stolterfoht und Kathrin Röggla. Also ein ziemlich prominent besetztes Projekt. Bei der Reihe „Luces in the Sky(pe)“ lesen junge spanische Autorinnen und Autoren live über eine Internetverbindung für das Publikum in der Lettrétage. Ein Schauspieler liest die deutschen Übersetzungen, die eigens angefertigt wurden. Anschließend findet ein Gespräch statt. Der Sinn ist, einmal ganz nah an der Entwicklung eines anderen Landes dran zu sein, ohne dass man erst auf übersetzte Buchpublikationen der Autoren warten muss. Literatur aus dem spanischen Sprachraum ist einer unserer Programmschwerpunkte, der von Katharina Deloglu ins Leben gerufen wurde.

Moritz, im Jahr 2009 hast du den Verlag Lettrétage ins Leben gerufen. Ziel ist ein kleines, aber feines Literaturprogramm, das sich weniger der Tretmühle des Literaturbetriebs als vielmehr den Kriterien der Qualität unterordnet. Nach einem Jahr als Verleger - wie fällt deine Bilanz aus?

Moritz Malsch: Die finanzielle Bilanz ist momentan besser als erwartet - wobei die Erwartungen ausgesprochen bescheiden waren. Wenn wir die investierte Arbeitszeit einfach mal vergessen, dann können wir uns eine schöne, runde Null zurechtrechnen. Aber: Wenn man monatelang auf dieses Ziel hingearbeitet hat und dann klingelt die Spedition, lädt eine Palette Bücher ab, und es sieht genauso aus, wie man es sich vorgestellt hat, man hält das „Baby“ endlich in den Händen - es gibt nichts Schöneres. Es ist im Grunde das gleiche Gefühl, was ich auch als Leser schon immer spürte, wenn ich ein schönes Buch in die Hand genommen habe, nur stärker. Die Magie des gedruckten Buches packt einen so richtig. Ein E-Book wird das nie können. Doch diese Aura vermittelt sich nur, solange die Bücher keine flüchtig produzierte Massenware sind. Und diese Aussage erstreckt sich auf alle Aspekte: Der Inhalt muss den Ansprüchen genügen, ebenso wie die Gestaltung und Verarbeitung, aber auch Pressearbeit, Vertrieb, Autorenkommunikation - für den Verleger gehört all dies zusammen. Dabei geht es nicht so sehr um bloße Professionalität, sondern eher darum, dass jeder ein Stück von sich selbst in das Projekt hinein gibt. Auch wenn das wahrscheinlich pathetisch klingt. So erklärt sich die Absicht, möglichst wenige, aber notwendige Bücher zu machen.

Wie finanziert ihr euch? Und welche Rolle spielt der gemeinnützige Träger- und Förderverein der Lettrétage?

Tom Bresemann: Wie finanzieren wir uns eigentlich? Über Spenden zum Beispiel.

Moritz Malsch: Zum Großteil nach dem Prinzip: Augen zu und durch. Bislang ist es uns immer so einigermaßen gelungen, die Miete durch Eintrittsgelder abzudecken. Natürlich wird das viele Engagement aller Beteiligten in der Regel nicht bezahlt. Bei größeren Projekten, die sich nur mit Ehrenamt nicht realisieren lassen, sind wir auf Projektförderungen angewiesen. Um die leichter zu erhalten, ist mit dem Verein Lettrétage e.V. ein institutioneller Rahmen geschaffen worden. Des Weiteren würden wir uns natürlich freuen, wenn der Verein immer mehr zu einem Förderverein wird. Die Fördermitgliedschaft kostet 10 Euro pro Monat und beinhaltet u. a. freien Eintritt zu allen Veranstaltungen.

Wer dieser Tage eine Buchhandlung betritt, findet dort vor allem die gleitfähige Lektoratsprosa der Konzernverlage. Was denkt ihr, wird es für die Literatur ein Leben jenseits von Bestseller-Boutiquen und Branchen-Filz geben?

Tom Bresemann: Gab es für die Literatur denn je ein Leben diesseits von Bestseller-Boutiquen und Branchen-Filz? Mir jedenfalls ist um die Gegenwart und die Zukunft der Literatur Deutschlands nicht bange, wenn ich sehe, wie viele neue und interessante Verlagsprojekte seit Jahren entstehen, sich etablieren, wieder vergehen, wie viel Bewegung insgesamt herrscht, nicht zuletzt, wie viele spannende und interessante AutorInnen in meinem Blickfeld auf- und abtauchen in den letzten Jahren. Dass so ziemlich alle gemeinten Akteure abseits des Bestsellertums agieren, oft auch, abseits der Medaillenflut des Literaturbetriebs, versteht sich ja fast von selbst, liegt in der Natur der Sache. Und dass das Veranstalten und das Verlegen von Literatur eine Existenzgefährdung darstellt, ist seit dem ersten aller Tage der Fall.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Daniel Möglich

Weblink:

Lettrétage


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