BERLIN (BLK) – Im Berenberg Verlag ist im Februar 2011 der Roman „Fiesta in der Räuberhöhle“ von Juan Pablo Villalobos erschienen. Carsten Regling hat ihn aus dem Spanischen übersetzt.
Klappentext: Tochtli, Sohn eines mexikanischen Drogenhäuptlings, erzählt, wie man aufwächst in Reichtum, Einsamkeit, mit einem Vater, der ihm schenkt, was er will, und mit wilden Gestalten, von denen manchmal einer nicht wieder kommt. Von denen lernt er alles über Bauch- und Kopfschuss. Den Rest erledigt sein Privatlehrer, ein enttäuschter Revoluzzer: Franzosen sind gute Kopfabschneider, Yankees sind an allem Schuld, bringen aber Dollars und Waffen, mit denen man spielen kann. Nur ein Zwergnilpferd ist nicht so leicht zu haben. Ein Miniroman, der mehr über Mexiko und Lateinamerika, seine fatale Abhängigkeit und seinen Hang zu Größenwahn und vergänglichem Ruhm erzählt als alles, was in der Zeitung steht.
Juan Pablo Villalobos, geboren 1973 in Guadalajara, Mexiko, studierte Marktforschung und Literatur und lebt heute in Barcelona, wo er schreibt und eine Firma für elektronische Produkte leitet.
Leseprobe:
©Berenberg Verlag©
Manche behaupten, ich wäre frühreif. Vor allem, weil sie glauben, dass ich noch zu klein bin, um so schwierige Wörter zu kennen. Ein paar der schwierigen Wörter, die ich kenne, sind: erbärmlich, tragisch, tadellos, pathetisch und fulminant. In Wirklichkeit sind es gar nicht so viele, die behaupten, ich wäre frühreif. Das Problem ist, dass ich gar nicht viele Leute kenne. Wenn überhaupt, dann dreizehn, vierzehn, und von denen behaupten vier, ich wäre frühreif. Sie sagen, ich würde älter wirken. Oder im Gegenteil, ich wäre noch zu jung für solche Dinge. Oder im Gegenteil vom Gegenteil, manchmal glauben sie sogar, ich bin ein Zwerg. Aber ich finde nicht, dass ich frühreif bin. Ich wende bloß einen Trick an, so wie die Zauberer, die Kaninchen aus ihren Zylindern ziehen, nur dass ich mir meine Wörter aus dem Wörterbuch nehme. Ich lese jeden Abend vor dem Einschlafen im Wörterbuch. Für alles Weitere sorgt mein Gedächtnis, das ziemlich gut ist, geradezu fulminant. Auch Yolcaut glaubt nicht, dass ich frühreif bin. Er sagt, ich wäre ein Genie, er sagt:
„Tochtli, du bist ein Genie, du kleiner Mistkerl.“ Und dabei streichelt er mir mit seinen Fingern voller Gold- und Diamantenringe über den Kopf.
Auf alle Fälle gibt es mehr Leute, die sagen, dass ich seltsam bin, sieben, um genau zu sein. Und das nur, weil ich Hüte mag und immer einen trage. Hüte tragen ist eine vernünftige Gewohnheit von tadellosen Menschen. Der Himmel ist voller Tauben, die ihr Geschäft machen. Und wenn du keinen Hut trägst, ist dein Kopf irgendwann schmutzig. Tauben sind ganz schön schamlos. Sie erledigen ihre Schweinereien vor aller Augen, mitten im Flug. Sie könnten sich genauso gut zwischen den Ästen der Bäume verstecken und dort ihr Geschäft machen. Dann müssten wir nicht immerzu nach oben schauen und Angst um unseren Kopf haben. Hüte, gute Hüte natürlich, eignen sich aber auch dazu, um sich von anderen abzuheben. Ein Hut ist wie eine Krone. Wenn du kein König bist, kannst du einen Hut tragen, um dich von den anderen abzuheben. Und wenn du kein König bist und keinen Hut trägst, endest du als Niemand.
Ich finde nicht, dass ich seltsam bin, nur weil ich gerne einen Hut trage. Außerdem ist das Seltsame mit dem Hässlichen verwandt, wie Cinteotl sagt. Aber eins bin ich mit Sicherheit, nämlich ein Macho. Zum Beispiel: Ich flenne nicht die ganze Zeit, nur weil ich keine Mama habe. Alle glauben, dass du ständig heulen musst, wenn du keine Mama hast, literweise Tränen, zehn oder zwölf am Tag. Aber ich heule nicht, denn wer heult, ist eine Schwuchtel. Wenn ich traurig bin, sagt Yolcaut, dass ich nicht heulen soll, er sagt:
„Reiß dich zusammen, Tochtli, wie ein richtiger Macho.“
Yolcaut ist mein Papa, aber er mag es nicht, wenn ich ihn Papa nenne. Er sagt, wir wären die tollste Machobande im Umkreis von mindestens acht Kilometern. Yolcaut ist ein Realist, deshalb sagt er nicht, wir wären die tollste Bande der Welt oder die tollste Bande im Umkreis von achttausend Kilometern. Realisten sind Menschen, die denken, dass die Wirklichkeit nicht so ist, wie du denkst. Das hat Yolcaut zu mir gesagt. Die Wirklichkeit ist so, und damit hat sich’s. So einfach. Man muss realistisch sein ist der Lieblingssatz der Realisten.
Ich glaube, wir sind wirklich eine tolle Bande. Ich habe Be weise. Bei Banden geht es vor allem um Solidarität. Solidarität bedeutet, dass mir Yolcaut Hüte kauft, weil ich Hüte mag, viele Hüte, so viele, dass ich eine Sammlung mit Hüten aus der ganzen Welt und allen Epochen habe. Auch wenn ich im Moment viel lieber ein liberianisches Zwergnilpferd als neue Hüte hätte. Ich habe das bereits auf der Liste mit den Sachen, die ich haben will, vermerkt und sie Miztli gegeben. So machen wir das immer, weil ich nur selten auf die Straße gehe, deshalb kauft mir Miztli alles, was ich haben will, Befehl von Yolcaut. Und weil Miztli ein schlechtes Gedächtnis hat, muss ich die Listen machen. Aber ein liberianisches Zwergnilpferd bekommt man nicht so einfach in einer Zoohandlung. In Zoohandlungen bekommt man höchstens einen Hund. Aber wer will schon einen Hund? Niemand will einen Hund. An ein liberia nisches Zwerg nil pferd zu kommen ist so schwer, dass uns wohl nichts anderes übrig bleibt, als nach Liberia zu fliegen und es dort einzufangen. Deshalb habe ich auch solche Bauchschmerzen. Eigentlich habe ich fast immer Bauchschmerzen, aber jetzt lässt das Stechen überhaupt nicht mehr nach.
Ich glaube, im Moment ist mein Leben etwas erbärmlich. Oder pathetisch.
©Berenberg Verlag©
Literaturangabe:
VILLALOBOS, JUAN PABLO: Fiesta in der Räuberhöhle. Aus dem Spanischen von Carsten Regling. Berenberg Verlag, Berlin 2011. 80 S., 19 €.
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