Werbung

Werbung

Werbung

Im Gespräch mit Eugen Ruge

Eugen Ruge über die Arbeit an seinem ersten Roman, literarische Traditionslinien und Dinge, die ihn beim Schreiben fast irre machen

© Die Berliner Literaturkritik, 11.02.12

Dieser Text erschien erstmals am 9. Juni 2009 in diesem Literaturmagazin.

BERLIN (BLK) — Der Autor, Dramatiker und Dokumentarfilmer Eugen Ruge ist mit dem Alfred-Döblin-Preis 2009 ausgezeichnet worden. Die in diesem Jahr mit 15.000 Euro dotierte Auszeichnung wurde am 7. Juli in der Berliner Akademie der Künste vom Literaturnobelpreisträger Günter Grass überreicht. Ruge erhielt den Döblin-Preis für sein erstes Romanmanuskript „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, die Geschichte einer Familie von den 1930er Jahren bis zur Nachwendezeit, aus dem er am Tag der Preisvergabe auch ein Kapitel las.

Der 1954 im russischen Sosswa am Ural geborene Ruge ist seit 1989 als Autor vor allem für Theater, Hörfunk und Film tätig. Ruge arbeitete früher auch für die staatliche DDR-Filmgesellschaft DEFA sowie im Theater im Palast in dem inzwischen abgerissenen Ost-Berliner Palast der Republik. Zu seinen bekanntesten Theaterarbeiten gehören Stücke wie „Vom Umtausch ausgeschlossen“ (1990) „Restwärme“ (1992) und „Akte Böhme“, das 2001 unter der Regie von Andreas Dresen am Schauspiel Leipzig uraufgeführt worden ist.

Im folgenden Interview spricht Eugen Ruge über die Arbeit an seinem ersten Roman, literarische Traditionslinien und Dinge, die ihn beim Schreiben fast irre machen.

BLK: Herr Ruge, herzlichen Glückwunsch zum Alfred-Döblin-Preis 2009. In Ihrer Dankesrede sagten Sie, dass die Auszeichnung eine zusätzliche Motivation zum Schreiben bedeute. Welche anderen Motivationen gibt es für Sie als Schriftsteller?

EUGEN RUGE: Über Motivationen zu reden, ist schwer, denn ein großer Teil ist dem Autor gewiss nicht bewusst. Ich schreibe jedenfalls aus keinem Leidensdruck heraus, auch schätze ich den Einfluss der Literatur auf die Gesellschaft als gering ein. Eine gewisse Rolle spielt das Bedürfnis, die Zeit anzuhalten, zurückzuholen, Erfahrungen zu bewahren. Ich habe vergessen, wer gesagt hat, der Urgrund der Literatur sei der Wunsch, die Kindheit wiederzubeleben. Nabokov?

Immer wieder interessiert mich auch die Innensicht anderer, oft auch scheinbar abwegiger Personen. Ich habe ein Stück über General Bastian geschrieben, der Petra Kelly erschossen hat, oder über den bewusstseinsgespaltenen Fast-Ministerpräsidenten Ibrahim Böhme.

BLK: Der 1979 von Günter Grass gestiftete Literaturpreis ist nach dem deutsch-jüdischen Schriftsteller Alfred Döblin benannt. Welche Berührungspunkte sehen Sie zwischen dem Werk Döblins und Ihren eigenen Arbeiten?

EUGEN RUGE: Das ist eigentlich eine Frage für Günter Grass – er hat den Preis Alfred Döblin gewidmet, und ich glaube, kein Autor macht seine Bewerbung von seinem Verhältnis zu Döblin abhängig. Trotzdem würde ich sagen, dass mich mit Döblin eine Traditionslinie verbindet. Allerdings geht es hier nicht um ein einfaches Aufgreifen, sondern um eine Rückkehr zur Tradition des unmittelbaren Erzählens, es handelt sich hier um eine wiedergewonnene, wiedergefundene oder sogar wiedererfundene Tradition. Das ist, auch für mich persönlich, ein langer Weg. In der UdK (Universität der Künste, Anmerkung der Redaktion) habe ich z.B. über Schreiben im Zeitalter des postdramatischen Theaters unterrichtet. Was mich noch mit Döblin verbindet: die naturwissenschaftliche Ausbildung – ich bin ursprünglich Mathematiker. Poesie ist – auch – eine Frage der Genauigkeit.

BLK: Sie sind vor allem als Verfasser von Schauspielen und als Tschechow-Übersetzer bekannt. Was hat Sie bewogen, nun einen Roman zu schreiben?

EUGEN RUGE: Das ist eine Frage des Stoffes. Ich habe schon einmal ein Theaterstück geschrieben, in dem eine Gestalt des Romans im Vordergrund steht. Das war eines meiner „realistischsten“ Theaterstücke. Es hieß „Babelsberger Elegie“ und wurde 1997 in Magdeburg uraufgeführt. Für mich hat sich aber erwiesen, dass der Stoff kaum in ein Theaterstück passt, nicht nur wegen des Umfangs, denn die Geschichte spielt über 50 Jahre. Zwar hat ja Frank Castorf (Intendant der Volksbühne Berlin, Anmerkung der Redaktion) vor einer Weile sogar „Berlin Alexanderplatz“ auf die Bühne gebracht. Aber ein Epos muss als Epos geschrieben werden – was immer man dann hinterher damit macht. Erst gab es Homer, dann Aischylos.

Übrigens habe ich auch im Augenblick einfach keine Lust auf Theater. Positiv ausgedrückt: Ich habe Lust auf einen Roman.

BLK: Überall heißt es, Ihr Romanmanuskript sei stark autobiographisch geprägt. Wie viel Eugen Ruge steckt tatsächlich in „In Zeiten des abnehmenden Lichts“?

EUGEN RUGE: Natürlich bildet die eigene Biographie und die der Familie den Hintergrund für das Schreiben eines Autors. Aber auch wenn ich bestimmte biographische Eckdaten meiner Großmutter verwende – ich habe keine Ahnung, was meine Großmutter in Mexiko gesehen und gedacht hat. Ich weiß nicht, wie sie sich bei der Rückkehr in die DDR fühlte. Dieser Roman ist eine komplette Erfindung. Aber: Ich glaube an die Erfindung. Das hat mit der oben beschriebenen Traditionslinie zu tun – und mit Naturwissenschaft. Die neuere Gehirnforschung hat beispielsweise festgestellt, dass es keine Erinnerung gibt, sondern dass wir sie – nach Plausibilitätskriterien – immer neu erfinden. Die Postmoderne, die ja immer auf Infragestellung und Wahrheitsergründung aus ist, hat sich, wenn man es so sieht, als Falle erwiesen. Auch die Wahrheit ist eine Erfindung.

BLK: Welche Erfahrung hat Sie beim Schreiben des Manuskripts am meisten überrascht?

EUGEN RUGE: Bei meinen ersten Versuchen hat es mich fast irre gemacht, dass sich meine Haltung zu den Dingen fortwährend änderte. Was ich gestern geschrieben hatte, konnte ich heute verbrennen. Erlöst und überrascht hat mich die Entdeckung der Perspektive – obwohl es eigentlich nahe lag. Ich habe verschiedene Leben gelebt, ich war Mathematiker und Dokumentarfilmautor, habe sechs Jahre im Westen verbracht, habe als Dramatiker geübt, aus verschiedenen Perspektiven zu schreiben. Das klingt vielleicht formal, aber in Wirklichkeit gibt es keine formalen Fragen.

BLK: Haben Sie für Ihren Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ schon einen Verlag gefunden? Wann ist der Roman voraussichtlich im Handel erhältlich?

EUGEN RUGE: Mir scheint, dass es für einen Alfred-Döblin-Preisträger nicht so schwer ist, einen Verlag zu finden. Übrigens gab es schon nach der Lesung, also vor der „Urteilsverkündung“, aufrichtige Interessenten. Ich schätze, dass ich noch ein Jahr brauche, will mich aber nicht unter Druck setzen lassen.

BLK: Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise ist immer wieder vom Widerspruch zwischen Geist und Macht die Rede. Sehen Sie diesen Widerspruch auch? Welche Funktion kann die Literatur ihrer Meinung nach in unserer Gesellschaft übernehmen?

EUGEN RUGE: Ich würde es eher so sehen, dass die Finanzkrise die Diskussionen um Utopien wieder belebt hat und insofern vielleicht auf neue Weise auch den Streit zwischen Ost und West. Mein Roman handelt keineswegs nur vom Kommunismus in Deutschland. Und schon gar nicht geht es um seine Rechtfertigung, sondern darum, die DDR in einem größeren Kontext zu sehen. In dem Kapitel, das ich in der AdK (Akademie der Künste, Anmerkung der Redaktion) gelesen habe, geht es ein wenig um die stalinistischen Wurzeln der DDR. Eigentlich müsste das bestimmte Nostalgiker stören – und das kommt vielleicht noch.

Erst einmal hat sich die andere Seite erregt – die, bei denen das Wort Kommunismus einen Beißreflex auslöst. Im „Tagesspiegel“ wurde der Roman gleich zu Bertolt Brecht und Anna Seghers zurückkatapultiert, was ja kein Grund wäre, sich das Leben zu nehmen. Es wurde über den Stil von Kapiteln geurteilt, von denen bisher – außer der Jury – kein einziger Buchstabe bekannt ist. Das ist nicht nur dumm und unlauter, sondern erzählt viel von den berühmten Mauern in den Köpfen. Wenn mein Roman irgendeine „Funktion“ hat, dann ist er vielleicht eine Übung zum Verstehen des Andersdenkenden. Ich denke, dass weder ein Beziehungskonflikt noch die großen politischen Konflikte auf der Welt gelöst werden können, wenn man nicht zu verstehen versucht, was in dem anderen vorgeht – in seinem Kopf und möglicherweise auch in seinem Herzen.

Ob mein Buch das einlöst, weiß ich allerdings nicht. Am Ende sind es lauter kleine Geschichten, über die, da sie noch gar nicht vorliegen, vielleicht schon zuviel gesagt worden ist.

BLK: Wir bedanken uns für das Gespräch!

Das Interview mit Eugen Ruge führten Anja Köhler und Daniel Möglich.


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: