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Im Niemandsland

„Ich habe kein Deutschland gefunden": Erzählungen und Fotografien zur Berliner Mauer von Einar Schleef

© Die Berliner Literaturkritik, 19.02.12

Von Stephanie Schick

„Etwas ist weg. Ganz innen, mich erreicht hier nichts mehr.“ Einar Schleef versuchte in einigen Erzählungen, die nun im Elfenbein-Verlag erschienen sind, zu fassen, was ihm nach der Emigration aus Ostdeutschland (1976) fehlte. Endlich konnte er die Mauer passieren. Eine Diktatur sowie eine öde Kindheit in der tiefsten, ostdeutschen Provinz und eine gegängelte Künstlerexistenz im engen Ostberlin lagen hinter ihm. Doch Einar Schleef hatte die Mauer nur physisch überwunden. In seinem Kopf blieb sie. Zeitlebens.

So konnte nirgends ein Neuanfang gewagt werden. Resigniert stellte Schleef fest: „Ich habe kein Deutschland gefunden“. Diese aussichtslose Suche nach einem Deutschland hat der gleichnamige Band nun dokumentiert. Entstanden ist ein wunderbares Andenken, das mithilfe zahlreicher Archivbestände und Fotos aus dem Künstlernachlass die Auswirkungen der Mauer authentisch und drastisch beschreibt. Der Bruch, der sich durch ein ganzes Menschenleben zieht, wird hier so deutlich wie es keine Gedenkfeier heraufbeschwören könnte.

In den vielen kurzen Erzählungen, die hier versammelt sind, wird der autobiographische Kern kaum verhohlen. Einar Schleef selbst verbirgt sich hinter der kaputten Gestalt, die immer wieder zwanghaft zur Mauer rennt. Zwar steht er nun auf der Westberliner Seite, aber er sieht doch dasselbe. Der Protagonist stellt sich vor, wie ihn ein alter Bekannter, ein Grenzsoldat, durch das Fernglas sieht und ihn erschießt – auf westdeutscher Seite. Verfolgungswahn, Angstzustände, Perspektivlosigkeit. So sieht der Alltag von einem „Grenzgänger“ aus, der nirgends angekommen ist. Auch in seiner Beziehung zu Petra, die er in einigen der Erzählungen erwähnt wird, findet er keinen Halt. Sie verlassen sich ständig ohne sich wiederzufinden. Da hilft auch ein Wohnortwechsel oder Urlaub nicht. Der Protagonist konstatiert: ich muss hier in den Mauern bleiben. Er ist in dieser „Totenstadt“, wie er sie nennt, zu Hause.

Einar Schleef schreibt in seinen kurzen Erzählungen über den tristen Alltag eines Ostdeutschen, der im Westen scheitert. Wie auch in Wirklichkeit hat der Westen viele gelockt und dann bitter enttäuscht. Nicht allen gelang der Systemwechsel, schließlich hatte man sich „zwischen den Ruinen“ schon ganz gut eingelebt. Die Vergangenheit bot eine Identität, die man mit Grenzübertritt zwar behält, aber seltsam negiert. Diesen Identitätsbruch hält Schleef in seinen Erzählungen und den dazu passenden Schwarz-Weiß-Fotografien fest.

Am liebsten schläft das lyrische-Ich, insofern es das noch kann. Wer schläft schon gern in einer leeren, unwirtlichen Wohnung, zugedeckt allein mit dem Anorak der Ex? Die äußeren Begleitumstände unterstreichen die innere Verfasstheit des Autors nur. So zeugen auch die Erektionsstörungen weniger von einer zerrütteten Liebesbeziehung, als zuerst von einer kaputten Psyche. Dabei kommt es bei Petra und ihm fast ausschließlich zu Missverständnissen: Zwei Ossis im Westen. Während die Eine sich halbwegs arrangiert, bleibt der Andere auf der Strecke. Doch das Anerkennen des Scheiterns ist selbst zum Scheitern verurteilt. In teilweise surreal anmutenden Textpassagen wird das Onanieren zur Metapher. Genauso wie das zwanghafte Zur-Mauer-Rennen und das Aufsaugen von Blicken. Der Gestrandete versucht irgendwie, irgendwo Halt zu finden.

Bei dem Erzählband „Ich habe kein Deutschland gefunden“ handelt es sich größtenteils um ein noch von Schleef selbst arrangiertes Dateikonvolut namens „Nußbaumallee 1 und 2 und 3“ samt Tagebucheinträgen, das zusammen mit den Fotografien im Archiv der Akademie der Künste lagert. Die Seitengestaltung passt sich dieser locker choreografierten Textsammlung an, wobei die Schriftzeichen wie aus Schleefs Schreibmaschine wirken. Die blutarmen Fotografien unterstützen diesen Eindruck und man fühlt sich dem Urheber nahe.

In Einar Schleef hat Deutschland einen genialen Maler, Regisseur und Schriftsteller verloren, ohne es recht bemerkt zu haben. „Ich habe kein Deutschland gefunden“ darf deshalb als posthume Würdigung verstanden werden. Sie ist in diesem Jahr, wo sich der Mauerbau zum 50. Mal jährt, mehr als eine Bereicherung. Unsere Erinnerung an die Teilung verblasst zusehends. Gedenktage ändern daran weniger als diese sehr persönliche Leidensgeschichte eines Davongelaufenen.

Obwohl die Texte zuweilen nicht leicht zu verstehen sind und den Leser oft verstört zurücklassen, trifft doch genau diese Verwirrung ins Mark. Einar Schleef hat aufgeschrieben, was man schlecht beschreiben kann. Die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek sagte in ihrem Nachruf auf Schleef deshalb völlig zu Recht: „Es hat nur zwei Genies in Deutschland nach dem Krieg gegeben, im Westen´Fassbinder, im Osten Schleef.“


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