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David Vanns Roman: Im Schatten des Vaters

Unergründliches aufzeigen und Grundsätzliches infrage stellen

© Die Berliner Literaturkritik, 10.05.11

David Vann: Im Schatten des Vaters. Roman. Aus dem Amerikanischen von Miriam Mandelkow. Suhrkamp Verlag, 184 S., 17,90 €.

Von Angelo Algieri

„Back to the Roots“ – so hat es sich Jim wohl gedacht, als er seinem 13-jährigen Sohn Roy das Versöhnungsangebot machte, mit ihm ein Jahr auf Sukkwan Island zu verbringen. Diese Insel liegt im Alexanderarchipel an der äußersten Südostküste Alaskas. Dort wo es kaum Menschen gibt. In dieser Abgeschiedenheit hat sich Jim eine Hütte gekauft. Roy willigt nach kurzem Zögern ein. So die Ausgangslage dieser angehenden Robinsonade im Romandebüt „Im Schatten des Vaters“ des US-amerikanischen Autors David Vann.

Die Geschichte wird zunächst aus der Dritten-Person-Perspektive des Sohns Roy erzählt. Die Ankunft auf der Insel im Sommer werden mit der ersten Neugier beschrieben: der dichte Wald, die steilen Berge und das tiefblaue Meer. Wie man es sich von einem Alaska-Urlaub in der Abgeschiedenheit vorstellt. Sie angeln, jagen, wandern und hacken Holz. Dem Sohn macht es anfangs Spaß – es erinnert ihn an die Zeit als die Eltern noch zusammen waren. Seit der Trennung ist der Kontakt zu seinem Vater rar geworden. Soll dieser Insel-Aufenthalt ihr Verhältnis wieder kitten? – Nach ein paar Wochen und den Vorbereitungen für die Wintervorräte, ist es dem Jungen langweilig. Zudem fühlt er sich emotional überfordert – sein Vater redet im Schlaf mit ihm: Er entschuldigt sich, dass er nicht für Jim da war. Doch tagsüber scheint alles eitler Sonnenschein zu sein. Sein Vater funkt im Herbst ein paar Mal mit seiner letzten Freundin und glaubt mit ihr nach dem Inselaufenthalt wieder zusammen zukommen. – Das klappt nicht. Jim möchte sich daraufhin umbringen. In diesem Moment kommt Roy in die Hütte rein und sieht seinen Vater mit der Pistole an der Schläfe – bereit abzudrücken. Nach einem gebannten Moment, gibt Jim auf und will an die frische Luft, gibt die Pistole seinem Sohn.

Ein verheerender Augenblick: Roy erschießt sich.

Völlig unerwartet und unvermittelt kommt dieser Suizid – sowohl für den Vater als auch für den Leser. Ein niederschlagender Wendepunkt. Ab diesem Ereignis wird die Geschichte aus der Dritten-Person-Sicht des Vaters erzählt. Um Hilfe funken kann er nicht: Jim hat vor seinem Selbstmordversuch das Funkgerät aus Frust zerstört. Er entschließt sich mit der Leiche auf seinem Motorboot ans Festland zu gelangen, doch das Benzin reicht nicht. So ist Jim gezwungen, an einer nahegelegenen Insel zu stranden. Er findet eine unbewohnte Hütte und lässt sich dort nieder mit der Leiche – er hofft, dass bald ein Mensch kommt. Doch nach ein paar Wochen muss er feststellen, dass auf der Insel keiner kommt und wohnt. Er begräbt schließlich seinen Sohn im Wald. Mit Konserven und Krabben überlebt er den Winter. Als Jim im Frühjahr den Wald anzündet, wird die Polizei aufmerksam und nimmt ihn fest. Niemand glaubt ihn die Suizidgeschichte seines Sohnes. Er kommt durch Kaution frei, muss sich jedoch einem angehenden Prozess stellen. Jim befürchtet, dass er vor Gericht nicht Freigesprochen wird. Darum entschließt er, zu fliehen. Er heuert einen Schiffskapitän an, ihn nach Mexiko zu bringen. Doch auf dem Weg, hat es sich Jim anders überlegt und möchte zurückkehren – daraufhin wird er von den zwei Seeleuten an Bord umgebracht

Der im Jahr 1966 in Alaska geborene Vann verarbeitet in seinem Erstlingsroman seine eigenen Erfahrungen. Sein Vater beging Selbstmord als er 13 Jahre alt war. Zwei Wochen nachdem Vanns Vater – die Eltern hatten sich getrennt – vorgeschlagen hatte, mit ihm auf eine einsame Insel zu gehen. Vann entschied sich dagegen. Er fühlte sich nach dem Suizid schuldig: Hätte er ihn verhindern können? Erst als er an diesem Roman schrieb, konnte er sich von diesem Trauma befreien, berichtete er in einem Interview beim Sender France24.

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Dennoch ist es kein Bewältigungstherapie-Text geworden! Vann beschreibt eindrücklich das Unergründliche und Nichtnachvollziehbare eines plötzlichen Suizides. Die Frage nach dem Warum aus der Sicht des Sohnes wird klugerweise im Roman nicht beantwortet. Er stellt vielmehr die Frage, wer Schuld sei. Wenn Jim ihm nicht die Pistole gegeben hätte, hätte Roy sich nicht erschossen. Inwieweit ist Jim verantwortlich am Tod von Roy? Diese moralische Frage steht im Raum und Vann bezieht auch hier keine eindeutige Position.

Neben der Themen des Suizids und der Vater-Sohn-Beziehung geht der Roman weiter: Die anfangs selbstgewählte Robinsonade könnte als Metapher für das Pionierhafte dastehen. In Anlehnung an die ersten Pilger oder an die ersten Siedler im Zuge der Westeroberung der USA im 18. und 19. Jahrhundert. Und die Benutzung von Waffen zum Jagen und Selbstschutz ist für diese Zeit zumindest nachvollziehbar. Doch was, wenn die Pionierarbeit bereits geleistet ist? Was geschieht mit den „geladenen“ Waffen? Richten sie sich gegen die Gesellschaft? – wie die unbegreiflichen Amokläufe in den USA längst aufzeigen? Dieses weitverbreitete „zurück zu den Siedler-Wurzeln“ scheitert. Die eingeschworenen Pionier-Werte funktionieren nicht mehr. Eine Überwindung bzw. Neupriorisierung dieser Werte hin zu verantwortungsvollen, nachhaltigen Werten scheint überfällig.

Der Autor und Professor an der University of San Francisco hat einen Roman geschrieben, der im ersten Augenblick den Leser mit dem unerwarteten Suizid schockiert und verstört. Genau solche Literatur brauchen wir, die das Unergründliche aufzeigen und Grundsätzliches infrage stellen. Verdientermaßen hat „Im Schatten des Vaters“ 2010 in Frankreich den renommierten Prix Medicis Étranger bekommen. Vann ist mit diesem aufrüttelnden Romandebüt ein meisterhafter Wurf gelungen!

Weblink: Suhrkamp Verlag


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