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Im Wein ist Wahrheit

Die süffig-tragische Gesellschaftssatire des Engländers Paul Torday

Von: ALEXANDER KLUY - © Die Berliner Literaturkritik, 28.08.09

Sein Debüt um einen Mann, der wie ein Schlafwandler durch sein Leben geht; eine Frau geheiratet hat, die er nicht liebt; obsessiv einem Beruf nachgeht, den er im Grunde nicht schätzt; exzessiv ein Hobby, das Titel gebende Lachsfischen, ausübt und am Ende erfolgreich das Leben beziehungsweise das, was eigentlich das Leben ausmacht, entdeckt; wurde in vielen Ländern ein Erfolg. Auch in Deutschland wurde es überaus positiv aufgenommen.

Nun hat Torday im Jahresabstand sein zweites Buch vorgelegt. Wieder ist die Hauptfigur ein Mann, diesmal ein Mittdreißiger namens Wilberforce, dessen Vornamen Francis aus recht durchsichtigen dramaturgischen Gründen lange nicht gelüftet wird und der ebenfalls ein lebender Schlafwandler ist. Fünfzehn Jahre lang hat er, beginnend nicht in der sprichwörtlichen Garage, aber im Wohnzimmer einer kleinen Mietwohnung, obsessiv gearbeitet und so seine Softwarefirma zu einer bemerkenswerten Größe inklusive entsprechendem Multimillionenumsatz geführt. Doch vom Leben versteht er, der Computerprogrammierer, der nach der Geburt von einem lieblosen Ehepaar adoptiert wurde und eine digitale Existenz führt – entweder als 1 oder 0, Grautöne sind für ihn unauslotbar. Eines frühen Abends fährt er ins hügelige Hinterland, sieht zufällig ein Schild eines Weinhändlers, biegt ab, kauft eine Flasche Wein und kehrt immer wieder dorthin zurück. Denn er trifft im heruntergekommenen Weinladen Menschen, die, wie er meint, zu Freunden werden. Auch wenn sie nicht seiner gesellschaftlichen Schicht entsprechen, entstammen sie doch Adel oder Militär und ‚arbeiten’ im eigentlichen Sinne nicht.

Im mephistophelischen Weinhändler Francis Black, dessen Umsatz weitaus niedriger ist als die Aufwendungen für seinen scheinbar endlosen Weinkeller, findet Wilberforce einen Vaterersatz. Und in Catherine, die dem Erben von Hartlepool Hall versprochen ist, eine Freundin, die zur Geliebten und schließlich zu seiner Ehefrau wird. Doch nachdem er Francis auf dessen Totenbett seine gesamten Besitztümer abgekauft hatte – zuvor hatte er überstürzt sein Unternehmen verkauft und dafür die Freundschaft mit seinem Geschäftspartner eingebüsst – und Catherine heiratete, gerät er zusehends auf die schiefe Bahn. Er pflegt immer exzessiver und monomaner das Verkosten teurer Weine, vor allem jener aus dem Bordeaux. Schließlich ist er faktisch Alkoholiker, der vielerorts Restaurantverbot hat. Seine Sucht will er weder sich eingestehen noch den wenigen, die noch mit ihm reden. Er verursacht einen Autounfall, bei dem Catherine stirbt. Und gibt danach unkontrolliert Unsummen aus für mehrere tausend Pfund teure Weine. Am Ende hat er, sozial geschnitten und mit medizinisch attestierter sehr beschränkter Lebensdauer, nicht entdeckt, was das Leben ist. Im Gegenteil. Welche Ödnis das Leben vielmehr bietet, wenn es – trotz des Genusses erstklassigen Weines – nur aus innerer Leere besteht, beschreibt Torday mit grimmiger Ironie.

Dieses Buch ist somit das tragische Pendant zum eher komödiantisch-leichten „Lachsfischen im Jemen“. Und doch ist wieder eines entscheidend: die federnde Ironie, mit der Torday schreibt. Und diesmal zwei entscheidende Kunstkniffe: zum einen das Erzählen aus Wilberforces beschränkter Perspektive und zum anderen die „vier Jahrgänge“ des Untertitels, die vier Jahre, von denen erzählt wird – und zwar rückwärts, chronologisch absteigend. So dass man lesend zurückwandert: vom Wrack zum Workaholic. Auf diese Weise wird deutlich, welch horrenden Irrtümern Wilberforce aufsitzt, vor allem eigenen, weil er unbedingt akzeptiert sein möchte. Dieser willenlose Parzival versteht die Unterströmungen der Sprache und des sozialen Distanzierens nicht (was im englischen Original noch deutlicher wird). Er ist Maskottchen, Zerrspiegel, Karikatur und vor allem Opfer in einer Gesellschaftssatire über die Oberen, die Eitlen und scheiternde Aufsteiger. Nicht umsonst setzt das Buch ein mit einem Zitat aus einem Roman William Thackerays. Dessen Titel? „Jahrmarkt der Eitelkeit“.

Literaturangabe:

TORDAY, PAUL: Bordeaux. Ein Roman in vier Jahrgängen. Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Stegers. Berlin Verlag, Berlin 2008. 320 S., 19,90 €.

Weblink:

Berlin Verlag

Alexander Kluy arbeitet als freier Buchkritiker für dieses Literatur-Magazin


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