BERLIN (BLK) — Im folgenden Interview spricht Mitra Devi über ihre Krimis und ihre Stadt als Kulisse. Die Autorin wurde 1963 in Zürich geboren. Nach Ausbildungen an der F+F Kunstschule sowie als Sozialbegleiterin lebt sie heute in Zürich-Wiedikon als freie Autorin und Kolumnistin.
Das Interview wird von Urs Heinz Aerni geführt.
AERNI: Mitra Devi, Ihre Krimis spielen sich in den Quartieren Zürichs ab. Man könnte mit Ihrem Buch unter dem Arm die Stadt erwandern. Übt die Stadt einen besonderen Reiz aus?
MITRA DEVI: Zürich hat für mich die Vorteile einer Großstadt, ohne deren Nachteile, weil sie im internationalen Vergleich dennoch klein ist. Innerhalb weniger Tramminuten ist es möglich, Arbeiterstadtteile, High Society-Gegenden, Künstlerquartiere und Ausgangsmeilen zu entdecken. Für einen Krimi bietet die Stadt Zürich eine gute Kulisse — egal, ob es um Mord und Totschlag, Wirtschaftskriminalität, Drogen oder Bankraub geht. In Zürich ist das alles möglich und wirkt glaubwürdig, weil hier diese Dinge auch tatsächlich geschehen.
AERNI: „Stumme Schuld“ und „Filmriss“ sind die ersten beiden Bücher mit der Detektivin Nora Tabani. Eine sympathische Person. Wie ist sie entstanden?
MITRA DEVI: Sie sollte einen eigenwilligen Charakter haben, das war mir wichtig. Was wir teilen, ist ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn. Doch meine Detektivin ist viel chaotischer und impulsiver als ich. Ein kleines Geheimnis bleibt bei literarischen Figuren jedoch immer: Ich kann sie zwar „designen“ und gehe dabei auch systematisch vor, aber ihr Eigenleben ist nicht zu unterschätzen. Nora Tabani ist eine Mischung aus meiner Planung und ihrem eigenen Wachstum.
AERNI: Bahnhof Zürich-Stadelhofen oder Mord im Kinosaal, inspirieren die Orte, an denen Sie sich aufhalten, für die Geschichte oder werden sie eher auf Grund der Plot-Entwicklung ausgesucht?
MITRA DEVI: Beides. Als ich während der Entstehung von „Filmriss“ im Kino „Le Paris“ einen Film anschaute, wusste ich plötzlich: Hier muss ein Mord geschehen. Bald darauf kam die Stelle im Manuskript, zu welcher der Kinosaal als Tatort passte. Manchmal überlege ich mir einen Ort aber auch vom Schreibtisch aus: Wo muss dieses Kapitel spielen? Welcher Schauplatz bettet jene Szene am besten ein? Wohin würde ein Täter flüchten?
AERNI: Nebst der Schriftstellerei malen Sie zudem Bilder. Wie muss man sich Ihren Arbeitsraum vorstellen? Malatelier mit Laptop oder Schreibstube mit Staffelei?
MITRA DEVI: Im Moment hat das Schreiben Vorrang. Mein Malatelier habe ich vorübergehend aufgelöst. Das kann sich aber wieder ändern. Malen und Schreiben in derselben Phase ist mir noch nie gelungen. Entweder ich male über viele Monate exzessiv und mache danach eine Ausstellung. Oder ich schreibe ein halbes Jahr an einem neuen Buch. Ist die Geschichte fertig, kommt meistens wieder Lust auf die Malerei. Seit einigen Monaten sprudeln aber so viele Ideen für neue Krimis, dass meine Staffelei dem Laptop Platz machen musste.
AERNI: Kriminalliteratur boomt in den letzten Jahren sehr. Woher kommt das?
MITRA DEVI: Der Krimi mit seinem Spannungsbogen und den oft harten Schnitten zwischen den Szenen kommt unserer von Film und Fernsehen geprägten visuellen Wahrnehmung von Geschichten entgegen. Darüber hinaus ist es im Krimi möglich, soziale, ökologische, psychologische und wirtschaftliche Themen unterhaltend darzustellen, ohne moralisierend oder belehrend zu werden. Manche Krimis sind so fundiert recherchiert, dass sie glattweg als Sachbücher durchgehen könnten. Andere sind auf Action, Spannung und Nervenkitzel aufgebaut, und beides hat seine Berechtigung. Wir können beim Lesen, wie auch im Film, gemütlich zu Hause sitzen, während wir in eine Geschichte eintauchen und innerlich die gefährlichsten Dinge erleben.
AERNI: Haben Ihre Lesegewohnheiten auch Ihre Literaturgattung als Autorin mitbestimmt?
MITRA DEVI: Ja, ganz klar. Ich lese und schreibe Spannungsliteratur.
AERNI: Was für ein Buch liegt momentan auf dem berühmten Nachttisch?
MITRA DEVI: Meistens lese ich mehrere Bücher gleichzeitig, jeweils einige Romane und einige Sachbücher. Im Moment sind das „Wahn“ von Stephen King, „Ausgebrannt“ von Andreas Eschbach, „Amokspiel“ von Sebastian Fitzek, ein Buch über Ayurveda, eine Anthologie von Kurzkrimis und „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, 3. Band“.
AERNI: Wie viele Fälle wird Ihre Figur Nora Tabani bestehen müssen?
MITRA DEVI: Mit dem Verlag sind fünf Bände der Tabani-Reihe geplant, doch falls mich weitere Fälle reizen, könnten es auch mehr werden. Im Hinterkopf schlummert aber schon seit längerer Zeit die Idee für einen Thriller.