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Inger Christensen – „das“ (Kleinheinrich)

© Die Berliner Literaturkritik, 02.04.09

 

Leseprobe: „Das“ von Inger Christensen

 

© Kleinheinrich Verlag ©

PROLOGOS

 

Das. Das war es. Jetzt hat es begonnen. Es ist. Es währt fort. Bewegt sich. Weiter. Wird. Wird zu dem und dem und dem. Geht weiter als das. Wird andres. Wird mehr. Kombiniert andres mit mehr und wird fortwährend andres und mehr. Geht weiter als das. Wird andres als andres und mehr. Wird etwas. Etwas neues. Etwas immer neueres. Wird im nächsten nu so neu wie es nur werden kann. Stellt sich dar. Flaniert. Berührt, wird berührt. Fängt loses material ein. Wächst größer und größer heran. Erhöht seine sicherheit indem es als mehr existiert denn es selbst, bekommt gewicht, bekommt geschwindigkeit, bekommt in der geschwindigkeit mehr mit, geht vor andres, über andres hinaus, das aufgesammelt, aufgeschluckt, schnell belastet wird mit dem was zuerst kam, so zufällig begann. Das war es. So andres jetzt da es begonnen hat. So verändert. Schon unterschied zwischen dem und dem, da nichts ist, was es war. Schon zeit zwischen dem und dem, zwischen hier und dort, zwischen vorher und jetzt. Schon die ausdehnung des raums von dem zu dem andern, zu mehr, zu etwas, etwas neuem, das nun, in diesem nu, war, das im nächsten nu ist und fortwährt. (...)

 

 

LOGOS

 

DIE BÜHNE                                     symmetrien

 

1

Öde ohne daß jemand jemals da war,

        starb und dann nicht mehr da war;

da war ohne an einem weder bestimmten

         noch zufälligen ort zu sein,

                  ohne zufällig zu sein durch seine

                                    fehlende ortlosigkeit,

                  ohne bestimmt zu sein durch seine

                                             ortlosigkeit,

                 ohne bestimmung, zufällig oder nicht.

Wie das reine sein wo nichts ist.

 

Außen: all das dreckige

              die geschwindigkeit der tod das zerstörte die worte

              der saft der anfang die verwirrung: innen.

 

(...)

 

 

DIE HANDLUNG                            transitivitäten

 

(...)

2

Ihr verkehr mit sonnen und andern zufälligen gestirnen

hat sie gelehrt mit der grauen trägheit der massen zu rechnen

Sie bauen eine kirche aus schlacken von ausgebrannten gehirnen

und setzen auf allerart statisch bestimmte strategie

 

Es handelt sich um ängstliche und aufgedunsene kleine kardinäle

die glauben sie könnten daherkommen und behaupten die sonne sei schwarz

Das schlimmste ist nur: je mehr sie krähen

desto weiter wird die sonne der massen vertrieben

 

Es handelt sich um feige und überbewusste schakale

die behaupten alles sei gerecht natürlich und gut

Sie verschlingen das fleisch das die andern mit mühe bezahlen

weil diese andern ihre meinungen geschluckt haben

 

Es handelt sich um engel die blasierten kondoren ähneln

Sie begegnen jedem mit einem ungeheuer liebenswerten lächeln

Sie haben ihren platz in den verkehrten büros in aller welt

Aber die masse muß den idiosynkratischen stil lernen!

 

(...)

 

 

DER TEXT                                       universalitäten

 

1

Ich sehe daß ich dasitze und schreibe

Sehe es geschrieben werden Sehe das geschriebene

Lese und sehe das gelesene

Sehe wieder die stille vornean

Sehe sie meine schrift einstellen

Im schreibenden geschriebenen verschwinden

Sich selbst lesen

Beginnen sich selbst zuzurufen

 

(...)

 

 

EPILOGOS

 

Das

Das ist es

Es ist das ganze

Es ist das ganze in einer menge

Es ist das ganze in einer menge verschiedenes

Es ist das ganze in einer menge verschiedener menschen

In der angst

Aber es ist keine ganzheit

Es ist gar nicht fertig

Es ist nicht vorbei

Und es hat nicht begonnen

Es beginnt

In der angst

In der angst wie ein ausruhn

Angst davor allein zu sein

Angst davor zusammen zu sein

Angst vor dem abgeschlossenen

Angst vor dem unabgeschlossenen

Angst vor dem geschlecht

Angst vor dem tode

beginnt überall

überall in einem menschen

einem menschen dessen gesicht

ein viel kleineres gesicht wird

fluchtpunkt

für sein eignes verschwinden

in einem menschen

dessen nach innen gekehrte gesichte

aus dem raum zurückkehren

als realitäten

Und das ergebnis

das zerschmetterte gesicht

eine ganzheit aus knochenstaub und blut

aus flüssigkeit aus den augen

vermsicht mit schleim

aus den übrigen hohlräumen

vermischt mit gewebe und häutchen

fasern zahnschmelz und zungenklumpen

in einem gesättigten bildlosen ausruhn

fürs gemüt

die angst inkorporiert

(...)

 

© Kleinheinrich Verlag ©

Literaturangaben:
CHRISTENSEN, INGER: det/das. Übersetzt aus dem Dänischen von Hanns Grössel. Kleinheinrich Verlag, Münster 2008. 464 S., 45 €.

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