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Inger Christensen – „Das Schmetterlingstal“ (Bibliothek Suhrkamp und Kleinheinrich)

© Die Berliner Literaturkritik, 02.04.09

 

Leseprobe: „Das Schmetterlingstal – ein Requiem“ von Inger Christensen

 

© Bibliothek Suhrkamp © und © Kleinheinrich Verlag ©

 

I

 

Sie steigen auf, die Schmetterlinge des Planeten,

wie Farbenstaub vom warmen Körper der Erde,

Zinnober, Ocker, Gold und Phosphorgelb,

ein Schwarm von chemischen Grundstoff hochgehoben.

 

Dieses Flügelflimmern – ist es nur ein Schar

von Lichtteilchen in einem Gesicht der Einbildung?

Ist es die geträumte Sommerstunde meiner Kindheit,

zersplittert wie in zeitverschobenen Blitzen?

 

Nein, es ist der Engel des Lichts, der sich selbst

Als schwarzen Apollo mnemosyne malen kann,

als Feuervorgel, Pappelvogel und Schwalbenschwanz.

 

Mit meiner umschleierten Vernunft sehe ich sie

wie leichte Federn im Pfühl des Hitzedunstes

in der mittagsheißen Luft des Brajcinotals.

 

 

                                   II

 

In der mittagsheißen Luft des Brajcinotals,

wo jegliche Erinnerung zerbröselt und alles

sich im Zusammenfallen des Lichtes mit Pflanzenteilen

aus Duftlosigkeit in Duft verwandelt,

 

gehe ich von Blatt zu Blatt zurück

und setze sie auf die Nessel des Kindheitslandes,

die göttlichste Falle der Natur,

die fängt, was vorher wegflog wie Tage.

 

Hier sitzt der Admiral in seinem Gespinst,

während er sich aus einer frühjahrsgrünen gefräßigen Raupe

in das verwandelt, was wir Gemüt nennen,

 

so daß er wie die Schmetterlinge anderer Sommer

die dichte Purpurfarbe des Lebens

aus der unterirdisch bitteren Höhle heraufholen kann.

 

(...)

 

                                               XV

 

Sie steigen auf, die Schmetterlinge des Planeten,

in der mittagsheißen Luft des Brajcinotals,

aus der unterirdische bitteren Höhle herauf,

die das Berggebüsch mit seinem Duft verdeckt.

 

Als Bläuling, Admiral und Trauermantel,

als Pfauenauge flattern sie umher

und gaukeln dem Toren des Universums ein Leben

vor, das nicht wie nichts stirbt.

 

Was ist es, der diese Begegnung verzaubert

mit Anflügen von Seelenfrieden und süßen Lügen

und Sommergesichten verschwundener Toter?

 

Mein Ohr antwortet mit seinem tauben Klingen:

Es ist der Tod, der dich mit eigenen Augen

vom Schmetterlingsflügel aus anblickt.

 

© Bibliothek Suhrkamp © und © Kleinheinrich Verlag ©

 

Literaturangaben:
CHRISTENSEN, INGER: Sommerfugledalen et requiem/Das Schmetterlingstal ein Requiem. Übersetzt aus dem Dänischen von Hanns Grössel. Bibliothek Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006. 48 S., 9,80 €.
CHRISTENSEN, INGER: Sommerfugledalen et requiem/Das Schmetterlingstal ein Requiem. Übersetzt aus dem Dänischen von Hanns Grössel. Kleinheinrich Verlag, Münster 1995. 20 € (broschiert), 45 € (gebunden mit CD).

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