Leseprobe: „licht“ von Inger Christensen
© Kleinheinrich Verlag ©
Trauer
Finde den konzisen
ausdruck für trauer:
eine waldschnecke mit schleim
und dem reflexmechanismus
in sinnloser ordnung,
rechtzeitig ist der fühler
draußen, rechtzeitig
wieder eingezogen,
und im körper drinnen
präzise benutzt
wie eine schwangre sirene,
deren fallender ton
fällt und fällt
hinab durch allen
organismus.
Ach haut
Mein äußerster
radarschirm
Du gehst an mir vorbei
Du gehst an mir vorbei
während wir ganz still sitzen
Ich rede an mir vorbei
während du nicht hörst
Wir tun nichts
und ein engel liest uns auf
Licht
I
Ich erkenne abermals
eine lichtung in der sprache wieder
die geschlossenen wörter
die da sind um geliebt und wiederholt
zu werden bis hin zum einfachen
Ein schwan der sich ums ei
zusammenfaltet
ist ein echo von
schöpfung noch in uns
Und der schwan der dein auge
zur sonne fliegt
ist nochmals
prophezeiung eines wunders
Es gelingt im wort
das licht wiederzuerkennen
unfassbare handlung
vom manne zur frau
Ein wort das dein gemüt
in einen schwan verwandelt
hat einfachheit genug
ein ei zu formen
Und die sprache die sich
Im ei drinnen schließt
hat flügel die tragen
von geburt zu licht
Und die sonne ist da um geliebt zu werden
(...)
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Literaturangaben:
CHRISTENSEN, INGER: lys/licht. Übersetzt aus dem Dänischen von Hanns Grössel. Kleinheinrich Verlag, Münster 2008. 107 S., 18 €.
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