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Intimer Bericht aus dem goldenen Käfig

Teresa de la Parras Roman „Tagebuch einer jungen Dame, die sich langweilt“

© Die Berliner Literaturkritik, 05.12.08

 

Teresa de la Parras „Tagebuch einer jungen Dame, die sich langweilt“ ist die Geschichte der 18-jährigen Aristokratin María Eugenia Alonso, die, verarmt und verwaist, in Caracas lebt und einen Ehemann sucht. Obwohl das zu jener Zeit die einzig ernstzunehmende Aufgabe einer jungen Frau in der feinen Gesellschaft war, löste das Buch nach seiner Veröffentlichung in Venezuela im Jahre 1924 Stürme der Entrüstung aus.

Der Roman, der seiner Autorin zu großem Ruhm in Frankreich und Spanien verhalf, ist jetzt erstmals auch in einer deutschen Übersetzung erschienen. Entlang einiger Parallelen zu ihrer eigenen Biografie, jedoch mit einem anderen Ausgang, entwirft Teresa de la Parra einen intimen Bericht aus dem goldenen Käfig, die komische Beschreibung eines tragischen Schicksals.

María Eugenia erzählt ihre Geschichte selbst, zuerst in Form eines Briefes an ihre Freundin und dann in einem Tagebuch. In Venezuela geboren, nimmt ihr Vater sie nach dem Tod der Mutter mit nach Europa, wo sie in Paris und später in einem spanischen Internat aufwächst. Als ihr Vater überraschend stirbt, kehrt sie nach einem erneuten kurzen Aufenthalt in Paris, bei dem sie alle Wonnen des Konsums und der Bewunderung erlebt, nach Caracas zurück, um bei ihrer verwitweten Großmutter und ihrer unverheirateten Tante zu leben.

Hier treffen ihre liberalen Ansichten, ihre Bildung und ihre jugendliche Eitelkeit auf bigotte Moralvorstellungen, Religion und „Machismo“. Die Vorgaben der Tugend und Bescheidenheit verdammen María Eugenia, die in Paris die Freiheit erfahren hat, zu Stillstand und Einsamkeit, „als hätte man einem Geist die Flügel gestutzt“. Ihre plötzliche Armut, nachdem ihr Onkel sie um ihr Erbe gebracht hat, drängt sie in die Abhängigkeit.

Sie sucht Zuflucht bei Mercedes Galindo, der mondänen Freundin ihres Vaters und verliebt sich leidenschaftlich in den von ihrer Familie missbilligten Gabriel Olmedo. Doch in ihrer völligen Isolation und unter dem Druck der gesellschaftlichen Norm unterwirft sich der stolze Freigeist zunehmend der Fremdbestimmung. Schließlich verlobt sie sich mit dem unansehnlichen, erzkonservativen Doktor César Leal, der den Kopf einer Frau für „schmückendes Beiwerk“ hält und mit dem María Eugenia nichts verbindet außer der Liebe zu ihrer eigenen äußeren Erscheinung. Erst als Gabriel, inzwischen selbst unglücklich verheiratet, zurückkommt und ihr seine Liebe gesteht, erwacht sie aus ihrer Lethargie und ihrem Narzismus und muss sich entscheiden: Für eine Flucht mit Gabriel oder ein Leben in Sicherheit und Langeweile.

Es ist die subtile Komik in der Darstellung der Figuren, mit der die Autorin die antiquierte Prüderie und die Engstirnigkeit der postkolonialen venezolanischen Gesellschaft der Lächerlichkeit preisgibt. Doch die Tragik liegt im Ton ihrer Erzählerin. Dieser verliert im Laufe des Romans kontinuierlich an Energie und Zuversicht und verleiht damit ihrer fortschreitenden Selbstaufgabe Ausdruck.

Lesen sich die Aufzeichnungen anfangs noch wie selbstverliebte, unverfälschte Beobachtungen, die sowohl die Scheinheiligkeit der gesellschaftlichen Moral als auch María Eugenias eigene Eitelkeiten auf herrlich ironische Weise entlarven, so klingen die Tagebucheinträge der Heldin am Ende mehr und mehr wie das Klagelied eines Opfers, das an den Konventionen zerbricht, über die es sich zuvor lustig gemacht hatte. In poetischer Sprache, die gespickt ist mit französischen Wendungen sowie mythologischen und historischen Bezügen (die in einem umfangreichen Endnotenregister erläutert werden) besingt María Eugenia ihren eigenen Untergang.

Die intime Erzählweise bewirkt, dass der Wankelmut der jungen Heldin für den Leser geradezu greifbar wird. Zwischen Freiheitsdrang, Gefallsucht und Pflichtbewusstsein hin- und hergerissen, tritt María Eugenia mal als Frauenrechtlerin, mal als Moralapostel in Erscheinung. Oft ist sie aber schlicht ein 18-jähriges Mädchen, dessen Gedanken sich um die schönen Dinge des Lebens, um die Literatur, die Mode und die Romantik drehen, und die ihr Hunger auf das Leben anfällig für Glücksprophezeiungen macht. Ihr Verhängnis besteht darin, dass sie bisweilen scharfsinnig genug ist, den Betrug dahinter zu erkennen und so in vollem Bewusstsein in ihr Unglück rennt.

Von Anne Mucha

Literaturangaben:
DE LA PARRA, TERESA: Tagebuch einer jungen Dame, die sich langweilt. Aus dem Spanischen übersetzt von Petra Strien-Bourmer. Nachwort von Maike Albath. Manesse Bibliothek der Weltliteratur. Manesse Verlag, Zürich 2008. 762 S., 24,90 €.

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