Von Cordula Dieckmann
MÜNCHEN (BLK) - Immer diese Wawuschels. Erst kürzlich wurde Irina Korschunow in der S-Bahn nach München mal wieder auf das Buch angesprochen. Kein Wunder - ist die wunderbare Geschichte von den kleinen Bergbewohnern mit den grünleuchtenden Haaren doch seit 1967 einer der Klassiker der Kinderliteratur. Wenn die Schöpferin von Wischel und Wuschel von diesen Begebenheiten erzählt, lacht sie vergnügt und es klingt auch Verwunderung durch, dass diese Bücher noch nach über 40 Jahren so bekannt sind.
Es ist Freude und keinesfalls Stolz, was sie in solchen Momenten fühlt. „Stolz bin ich auf nichts, weil ich weiß, dass man alles auch besser machen könnte“, sagt sie. Doch so selbstkritisch müsste sie nicht sein. Wenn Korschunow am 31. Dezember nahe München ihren 85. Geburtstag feiert, kann sie auf eine beachtliche Reihe kluger, gut erzählter und erfolgreicher Bücher zurückblicken - auch für Erwachsene.
Viele der Geschichten hat Korschunow aus ihrem eigenen Leben geschöpft - allerdings immer abgewandelt, darauf legt sie Wert. Schon als Kind lauschte sie begierig den Erzählungen ihrer Eltern, einer Deutschen aus Kiel und eines Russen: „Meine Mutter konnte wunderbar erzählen und war auch eine sehr kluge Frau. Und mein Vater hat mir russische Geschichten erzählt.“
Bald stand für Irina aus dem Städtchen Stendal in Sachsen-Anhalt fest: Sie wollte Journalistin werden. „Ich wusste sehr früh schon, dass ich schreiben wollte und dass ich in der Zeitung schreiben wollte, weil ich sehr früh anfing, Zeitung zu lesen. Bei uns wurde über so was geredet“, erzählt Korschunow, die später unter anderem für die „Süddeutsche Zeitung“ und den Rundfunk arbeitete, dann aber 1960 das Schriftstellern entdeckte.
Doch leicht war dieser Weg nicht - wie bei allen ihrer Generation. Ende 1925 geboren war sie sieben Jahre alt, als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen. Sechs Jahre später dann der Zweite Weltkrieg. Viele Eindrücke verarbeitete Korschunow später in ihren Büchern, so etwa in dem Roman „Luftkind“, in dem eine mutige Lehrerin einen Juden vor den Nazis versteckt. Oder in „Malenka“, dem Porträt einer jungen Frau, die ihren Weg geht - trotz Nazi-Terrors, Kriegs und der Wirren der ersten Nachkriegsjahre.
Auffallend oft wollen die Frauen in Korschunows Büchern vor allem eines: Lernen! Gelehrte Frauen haben sie immer interessiert, allen voran ihre Mutter, die ihren Traum, Lehrerin zu werden, aber nicht verwirklichen konnte. „Sie hat immer gesagt, lerne, lerne, lerne, mach Abitur, studiere und hat mir dann ihre Geschichte erzählt“, erinnert sich Korschunow. Den Rat ihrer Mutter nahm sie sich zu Herzen und wartete nach dem Ende des Krieges 1945 ungeduldig darauf, dass die Universitäten wieder öffneten.
Während für Korschunow feststand, dass sie studieren würde, war das für andere Frauen damals nicht selbstverständlich - waren ihre Aufgaben doch vor allem der Haushalt und die Sorge für die Familie. Als Feministin sieht sich Korschunow aber nicht. Im Gegenteil: Sie wehrt sich gegen diese Einordnung. „Ich war sehr modern, ich war bloß nicht ideologisch“, beschreibt sie sich selbst. „Ich bin nicht mit diesem Thema umgegangen, sondern mit der Wirklichkeit. Für mich war die Emanzipation schon da, als es das Wort noch nicht mal gab.“ Ihr Ehemann unterstützte sie bei ihrer Arbeit. Der Wissenschaftler erforschte auf seinen Expeditionen die Welt, während sich seine Frau unterdessen zu Hause ihre Geschichten ausdachte.
Und noch gegen eine andere Schublade wehrt sie sich: die der reinen Kinderbuchautorin, auch wenn die „Wawuschels“ oder der „Findefuchs“ sie berühmt gemacht haben und die Geschichte von dem elternlosen Fuchs, der eine neue Mutter findet, eine Million Mal verkauft wurde. Doch diese Phase der Kinder- und Jugendbücher sei irgendwann vorbei gewesen, spätestens als ihr 1960 geborener Sohn erwachsen wurde. 1983 kam ihr Romandebüt - die Familienchronik „Glück hat seinen Preis“. Viele weitere Bücher folgten. Zuletzt veröffentlichte sie 2009 „Langsamer Abschied“ über ein Ehepaar, bei dem der Mann nach einem Unfall zum Pflegefall wird und stirbt.
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Die Lieblingsbücher Korschunows sind dennoch „Der Findefuchs“ und ganz klar „Die Wawuschels“ - vielleicht, weil ihr das freche, aufgeweckte Wawuschelmädchen ähnelt. „Ich war eigentlich die Wischel, die schneller lesen gelernt hat als kleine Jungs in meinem Alter“, sagt sie zum Abschied und ein schelmisches Lächeln huscht über ihr Gesicht.
Irina Korschunow könnte man stundenlang zuhören. Wenn sie von ihrer Kindheit in Nazi-Deutschland erzählt, vom Krieg und von der Zeit danach, hat man das Gefühl, mitten in einem ihrer Romane zu sein. Das ist kein Zufall, hat sie in den Büchern doch viele Erfahrungen aus ihrem Leben verarbeitet. Vor allem war sie immer fasziniert von starken, mutigen Frauen, die deshalb auch in ihren Geschichten auftauchen. Trotzdem seien ihre Werke keine „Frauenbücher“. „Da waren immer irgendwelche schlauen Leute, die haben gefragt, warum schreiben Sie Frauenbücher? Ich sage, ich schreibe Menschenbücher!“, stellt sie im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa energisch klar.
Interview mit Irina Korschnow anlässlich ihres 85. Geburtstages
Die Frauen in Ihren Büchern wirken oft sehr stark und emanzipiert. Sie bahnen sich ihren Weg gegen Widerstände wie die Nazi-Diktatur, den Zweiten Weltkrieg oder die Nachkriegszeit. Inwieweit haben diese Jahre Sie als Schriftstellerin geprägt?
Korschunow: „Das war eine Zeit, da ging es nicht um Emanzipation, da ging es um Überleben. Ich bin Jahrgang 1925, als der Krieg zu Ende war, war ich 19. Da hatte man erst mal andere Probleme, als Emanzipation. Aber ich kannte das Wort Emanzipation, da ich es immer als sehr wichtig empfunden hatte, schon bevor es ein Problem war. Damals war das noch kein Frauenproblem, das wurde erst später dazu.“
Waren die Frauen in der Nachkriegszeit in Ihren Augen selbstständiger als in späteren Jahren?
Korschunow: „Es waren keine Männer da, da war keiner, der sagte, ach, das mach ich schon. Die Frauen mussten selbst mit anfassen. Da war ich aber noch keine Frau, die Verantwortung in diesem Sinne hatte. Ich wollte nichts weiter, als zur Schule gehen und studieren. Ich wollte, dass die Universitäten wieder aufmachten und dass ich einen Studienplatz bekam. Und dass ich den bezahlen konnte. Wir mussten arbeiten, um durchzukommen und auch arbeiten, um Vergünstigungen zu bekommen. Ich musste von Anfang an Fleißprüfungen machen, um zum Beispiel einen Mensatischplatz zu kriegen, um einen Studienerlass zu kriegen, um kleine Stipendien da und dort zu ergattern. Es ging nicht darum, die Männer kleinzukriegen.“
Sie waren sehr strebsam und ehrgeizig?
Korschunow: „Ich wollte einfach mehr lernen, ich wollte zur Zeitung, ich wollte Journalistin werden. Unsere ganze Erziehung war ja beeinträchtigt durch den Krieg und durch die Ideologie der Nazis. Man musste sich wehren, aber das geschah nicht unter dem Gesichtspunkt der Emanzipation, sondern der politischen Überzeugung, der Angst. Dass man das Falsche sagen könnte und auch sagte - gerade jemand wie ich, der den Mund aufgerissen hat. Es ist sowieso beinah ein Wunder, dass ich so alt geworden bin.“
Sie wurden irgendwann Journalistin und schrieben für die Zeitung und für den Rundfunk. Wie kamen Sie auf die Idee, Bücher zu schreiben?
Korschunow: „Wir hatten einen Freund, der war Journalist, der kam eines Tages zu Besuch. Er brachte uns ein Bilderbuch mit und sagte, ich habe ein Buch geschrieben. Das war eine ganz hübsche Geschichte, ein richtig schönes buntes Bilderbuch. Mein Mann sagte, guck mal, der Günter hat was gemacht, da werden nicht am nächsten Tag die Fische drin eingewickelt. Das hat er nicht böse gemeint, wir waren sehr ironisch miteinander. Da habe ich gesagt, verdammt noch mal, wenn der Günter das kann, kann ich das auch. Und in der Nacht habe ich mir meinen allerersten Bilderbuchtext ausgedacht. Das hieß „Der bunte Hund, das schwarze Schaf und der Angsthase““.
Wenn Sie auf ihr Werk blicken - was sind Ihre Lieblingsbücher?
Korschunow: „Natürlich „Der Findefuchs“ und „Die Wawuschels“. Die Wawuschels sind mir sehr wichtig, weil sie das erste wichtige Baby waren. Die sind völlig lebendig aus dem Kinderbuch gesprungen, die hätten auch Menschen sein können.“
Wollen Sie noch mal ein Kinderbuch schreiben?
Korschunow: „Das ist vorbei. Weil ich erwachsen geworden bin. Ich habe mir die Kinderbücher aus meinem Leben geholt und mir diktieren lassen, von dem Kind, für das ich es letztlich geschrieben habe, nämlich dem Kind, das ich mal war. Und das mein Sohn war und aus den Gesprächen mit anderen Müttern. Es stammt aus dieser Phase, obwohl ich damals anfangs noch kein Kind hatte, aber immer dachte, ich will schon ein Kind haben. Der „Findefuchs“ kam dann gleichzeitig mit den ersten Erwachsenenbüchern, das war die Phase meines Umbruchs, ich wollte keine Kinderbuchautorin mehr sein, ich wollte Autorin sein.“
Internet:
Korschunow im Verlag dtv