Werbung

Werbung

Werbung

Israels Gründungsmythos

Der Historiker Shlomo Sand stellt die die Frage: Gibt es ein jüdisches Volk?

© Die Berliner Literaturkritik, 11.05.10

BERLIN (BLK) – Im April 2010 hat der Propyläen Verlag Shlomo Sands „Die Erfindung des jüdischen Volkes“ herausgegeben.

Klappentext: Gibt es ein jüdisches Volk? Nein, sagt der israelische Historiker Shlomo Sand und stellt damit den Gründungsmythos Israels radikal in Frage. Vertreibung durch die Römer? Exodus? Rückkehr nach 2000 Jahren ins Land der Väter? Alles Erfindungen europäischer Zionisten im 19. Jahrhundert, schreibt Sand in seinem Aufsehen erregenden Buch, das in Israel und Frankreich zum Bestseller wurde und heftige Kontroversen ausgelöst hat. Sand gehört einer Gruppe israelischer Historiker an, die sich kritisch mit der Geschichte Israels und des Zionismus befassen. Nicht das Existenzrecht Israels stellen sie in Frage, sondern den auf Legenden beruhenden Alleinanspruch auf das Gelobte Land. Das Judentum, so Sand, ist eine religiöse, keine ethnische Gemeinschaft. Wenn überhaupt, sind eher die Palästinenser als die aus Europa eingewanderten Juden ethnische Nachkommen der biblischen Israeliten.

Shlomo Sand, geboren 1946 als Kind polnischer Juden in Linz. 1949 Übersiedlung der Familie nach Israel. Nach dem Studium der Sozialwissenschaften in Paris lehrt Sand Geschichte an der Universität Tel Aviv. Er zählt zu den führenden Intellektuellen Israels und zu den schärfsten Kritikern der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern. (jos)

©Propyläen Verlag©

Leseprobe:

Das Buch, das nun auf Deutsch erscheint, wurde eigentlich in hebräischer Sprache geschrieben. Hebräisch ist die Sprache meines Denkens und meiner Vorstellungskraft, und wie es scheint, träume ich auch auf Hebräisch. Selbstverständlich erscheinen auch meine Schriften auf Hebräisch, doch meine eigentliche Muttersprache ist Jiddisch. Ich habe das Buch in erster Linie für ein israelisches Publikum geschrieben, sowohl für diejenigen, die sich selbst als Juden sehen, als auch für jene, die zu den Arabern gerechnet werden. Der Grund ist ein ganz einfacher: Ich lebe in Tel Aviv und bin dort Professor für Geschichte.

Das Buch erschien in Israel Anfang 2008 und wurde kontrovers aufgenommen. Die elektronischen Medien waren sehr gespannt darauf, und ich wurde in viele Fernseh- und Radiosendungen eingeladen. Auch Journalisten der schreibenden Zunft berichteten über mein Werk und legten dabei in der Regel eine wohlwollende Haltung an den Tag. Anders die Angehörigen der „etablierten“ Historikerzunft, die dagegen Sturm liefen, ebenso wie leidenschaftliche zionistische Blogger, von denen ich bald zum „Volksfeind“ erklärt wurde. Die Leser hingegen verwöhnten mich: 19 Wochen stand das Buch auf der israelischen Bestsellerliste.

Um dieses Phänomen verstehen zu können, muss man die prozionistische Brille für einen Augenblick abnehmen und Israel so betrachten, wie es ist, denn ich lebe in einer recht merkwürdigen Gesellschaft. Wie man im letzten Kapitel des Buches (dessen Schlussfolgerungen viele Kritiker erzürnten) detailliert nachlesen kann, ist es durchaus zweifelhaft, ob Israel ein demokratischer Staat ist. Schließlich versteht er sich als Staat des „jüdischen Volkes“, nicht aber als Repräsentant aller seiner Bürger, die innerhalb seiner anerkannten Grenzen (ohne die besetzten Gebiete) leben. Die Gesetzgebung Israels bestimmt auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts, dass der Staat für die Juden und nicht für die Israelis da sein soll. Sein Ziel ist es, vor allem den Nachkommen einer imaginierten „Ethnie“ zu dienen statt der Gesamtheit seiner Staatsbürger, die die Landessprache sprechen und in ihm leben. In der Tat kann jeder, der eine jüdische Mutter hat, die Vorteile beider Welten genießen und bequem in New York oder Paris leben und trotzdem wissen, dass Israel für ihn da ist, selbst dann, wenn er dort gar nicht leben will. Wer hingegen keine Jüdin zur Mutter hat und in Jaffa oder Nazareth lebt, den lässt man spüren, dass der Staat, in dem er geboren wurde, nicht der seine ist.

©Propyläen Verlag©

Literaturangabe:

SAND, SHLOMO: Die Erfindung des jüdischen Volkes. Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand. Propyläen Verlag, Berlin 2010. 505 S., 24,95 €.

Weblink:

Propyläen Verlag


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: