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Italienische Kommissarin ermittelt

In „Schnee an der Riviera“ verschenkt Autorin Rosa Cerrato ihr gutes Potential

© Die Berliner Literaturkritik, 17.03.10

Von Angelo Algieri

Genua – italienische Hauptstadt der Region Ligurien, einstige mächtige Seefahrerstadt, Geburtsort von Christoph Columbus, bis ins 18. Jahrhundert eins der wichtigsten Finanzzentren der Welt, heute größter und wichtigster Hafen Italiens, bot und bietet diese am Apenninen hängende Stadt mit ihren engen Gassen immer wieder das Setting für Romane, Dramen und Opern – man denke hier etwa an Giuseppe Verdis „Simon Boccanegra“ oder an Schillers „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“.

So ist Genua auch in Rosa Cerratos Kriminalroman „Schnee an der Riviera“, der im Berliner Aufbau-Verlag erschienen ist, Schauplatz mysteriöser Vorgänge und Verbrechen. Die Italienerin Rosa Cerrato ist von Hause aus Germanistin und Romanistin. Sie hat unter anderem an der Universität Mannheim gelehrt und lebt nun in Genua, sowie in Volfontanabuona.

In ihrem ersten Kriminalroman ermittelt nicht etwa ein eigenwilliger Kauz, wie Commissario Montalbano von Andrea Camilleri, sondern eine Kommissarin! Sie heißt Nelly Rosso, ist Anfang 40 und alleinerziehend, sie hat rote Haare und hat eine kräftige Statur mit sexy Lippen.

Am Gymnasium ihres 18 jährigen Sohnes Maurizio kommt an einem Frühjahrsmorgen Maurizios bester Freund Francesco bei einer Drogenrazzia ums Leben. Zunächst sieht es so aus, als sei er von Rossos Kollegen versehentlich erschossen worden – noch bevor die Ballistik seine Unschuld erweist, erhängt sich der vermeintliche Todesschütze; Leiche Numero zwei.

Trotz indirekter Verwicklung ihres Sohnes ermittelt Dottoressa Rosso in diesem Fall und stößt bald auf Ungereimtheiten: Sie geht Gerüchten von Schülern nach, und bald wird ein Schulschwänzer, ein Immigrant aus Marokko, tot am Meeresufer angeschwemmt. Maurizio scheint seiner Mutter nicht alles erzählt zu haben, und das Misstrauen sowie der Kontrollzwang Rossos belasten die Beziehung der beiden bis zum Schluss. Zudem erscheinen komische Typen, die es auf Maurizio abgesehen haben. Nachdem ihr Sohn in Sicherheit gebracht worden ist, beginnt für Rosso eine abenteuerliche Ermittlung in und um Genua, Verstrickungen eines Großbürgerlichen in krumme Geschäfte führen die Kommissarin ins Drogenbusiness und die Leser mit ihr zu einem waghalsigen und spektakulären Ende, das so an den Haaren herbeigezogen ist wie Hollywood es sich nicht besser hätte ausdenken können.

Zugegeben, dieser Krimi ist sehr spannend erzählt und man wird eingesogen in die Geschichte und, dank Cerratos meisterhafter Beschreibungen, in die Stadt Genua, so als ob man vor Ort wäre. Löblich ist zudem, dass eine Frau, die zudem alleinerziehende Mutter ist, die Ermittlungen führt. Was in der männerdominierten Welt der Krimi-Kommissare, allen voran im (Macho-)Italien, selten vorkommt. Hervorzuheben ist auch, dass Rosso einen Liebhaber hat mit dem sie eine Fernbeziehung führt. So erscheint die Kommissarin sehr modern und emanzipiert...

Jedoch ist dieser Krimi andererseits mit unsäglichen Klischees und Vorurteilen versehen, die weder von Rosso noch vom allwissenden Erzähler kommentiert oder korrigiert werden.

So wird ein Schüler mit marokkanischem Migrationshintergrund als Schulschwänzer, Stricher und Drogendealer gebrandmarkt. In Anbetracht dessen, dass sich in Italien in den letzten Jahren ein immer schärferes Klima gegenüber Immigranten gebildet hat – man denke an die Ausweisungen von Sinti, Roma und Rumänen, aber auch an die zynische, ausländerfeindliche Kampagne „White Christmas“ im Dezember 2009 in einer Kleinstadt bei Brescia, wo der dortige Bürgermeister dazu aufrief, illegale Einwanderer aus der Stadt zu vertreiben –, hätte Cerrato dieses Klischee brechen können.

Nicht nur Einwanderern haftet in Italien das Klischee des Kriminellen an, auch Schwulen. Sie sind in der Handlung des Krimis in Drogengeschichten verwickelt, schmachten Minderjährige an und tolerieren das Dealen mit Drogen in ihrem Lokal. Auch hier hätte Cerrato eine Lanze für Schwule brechen können, wenn man an die Negativkampagnen der katholischen Kirche zur Homo-Ehe denkt oder daran, dass Schwule in Italien immer noch diskriminiert werden.

Diese fehlende gesellschaftspolitische Dimension manifestiert sich letztendlich vor allem in der fehlenden Aufarbeitung der Ereignisse des G-8-Gipfels im Jahr 2001 in Genua, als Demonstranten aus verschiedenen Ländern von der Staatsmacht gefangen genommen wurden. Die Polizei ging unnötig hart gegen Demonstranten vor; ein 23-Jähriger kam zu Tode. Dieses die Gesellschaft spaltende Ereignis wird im Krimi nur kurz angedeutet: Sohn Maurizio stand einer Polizistin - seiner Mutter – auf der Straße gegenüber: Eigentlich ein spannendes und folgenreiches Thema – hier eine verpasste Chance!

Vorurteile und Verdrängung machen diesen Krimi zu einer ärgerlichen Lektüre – trotz flüssiger Übersetzung von Verena von Koskull und Esther Hansen. Da sind sogar Donna Leons Commissario Brunetti und Andrea Camilleris Commissario Montalbano und ihre Kriminalgeschichten gesellschaftskritischer und politischer. Im Gegensatz zu Cerrato schaffen sie relevante Literatur und halten der Gesellschaft den Spiegel vor. Pure Unterhaltung, wie diesen Krimi, hat man auf den Berlusconi-Sendern genug!

 

Literaturangabe: CERRATO, ROSA: Schnee an der Riviera. Nelly Rosso ermittelt. Aufbau-Verlag, Berlin 2009. 341 S., 9,95 €.

 

Weblink: Aufbau-Verlag

 

 

 


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