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Jahre in der Hölle

In ihrem Buch „Der Deich der Witwen“ schildert Denise Affonço ihre Leiden unter den Roten Khmer

© Die Berliner Literaturkritik, 17.04.09

 

Von Thomas Kunze

Auf dem Cover des Buches „Der Deich der Witwen“ ist das Bild einer nicht mehr ganz jungen Frau. Aus ihrem Gesicht spricht unendliche Traurigkeit. Das Foto zeigt die Autorin Denise Affonço 1979 – kurz nach dem Sturz der Schreckensherrschaft der Roten Khmer. Als eine der ersten schrieb sie damals ihre Erinnerungen an die Zeit unter Pol Pot auf. Der Text diente im ersten Prozess gegen Pol Pot und andere Führer der Roten Khmer als Zeugenaussage. Erst viele Jahre später nahm sie die Aufzeichnungen wieder zur Hand. Sie schrieb dieses Buch, „damit dieses grauenvolle Kapitel der Geschichte Kambodschas nicht der Vergessenheit anheim fällt.“ Sie war in Europa Menschen begegnet, die bezweifelten, dass es in Kambodscha einen Völkermord gegeben hatte.

Denise Affonço kam 1944 in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh zur Welt – als Kind einer Vietnamesin und eines Franzosen. Sie arbeitete unter anderem als Sekretärin in der französischen Botschaft in Phnom Penh. Anfang 1975 war der Sieg der kommunistischen Roten Khmer im Bürgerkrieg absehbar. Als Französin hätte Denise zu diesem Zeitpunkt mit ihren Kindern noch aus Kambodscha fliehen können. Aber sie wollte ihren Ehemann nicht zurücklassen. Außerdem glaubte ihr Mann, ein chinesischer Kommunist, alles würde sich zum Guten wenden. Wie viele Einwohner von Phnom Penh begrüßte er die Truppen der Roten Khmer bei deren Einmarsch.

Ein tödlicher Irrtum: Schon am nächsten Tag treiben die schwarzgekleideten Soldaten die Bewohner erbarmungslos aus der Stadt – auch kleine Kinder und Alte sowie Kranke aus den Kliniken und Psychiatrien. Tausende sterben an den Rändern der Landstraßen. Wer als „Feind“ identifiziert wird, etwa Intellektuelle oder Mönche, wird umgebracht. Wie Denises Mann, der vorher als Geschäftsmann tätig war.

Um Opfer der ständigen Massenhinrichtungen zu werden, konnte es schon ausreichen, dass man eine Brille trug. Denn das war das Ziel der Khmer-Führung: In Kambodscha eine Art Steinzeitkommunismus, eine primitive Bauerngesellschaft zu errichten – ohne Markt und Geld, ohne Schulen und Bücher, ohne Kultur und religiöse Bräuche.

Die Schergen der Roten Khmer machen Denise und ihren Leidensgenossen klar, dass sie nur deshalb nicht getötet werden, weil Munition zu teuer ist. Sie muss schwerste Sklavenarbeit auf den Feldern verrichten. Zugleich gibt es immer weniger und immer öfter gar nichts zu essen. In dem fruchtbaren Land Kambodscha wird Hunger zur Normalität. „Es war ein langsames Töten, das nichts kostete“, schreibt Denise Affonço. Die Menschen essen in ihrer Not Ratten, Kaulquappen, Heuschrecken oder Kakerlaken – so lange es noch welche gab. Denises Tochter und ihre Nichte sterben vor Erschöpfung. Ihr Neffe wird getötet, weil er vor Hunger etwas zu essen gestohlen hat.

Drei von insgesamt zwei Millionen, die umgebracht oder dem Tod durch Hunger und nicht behandelte Krankheiten überlassen wurden.

Auch Denise wird immer schwächer. Trotzdem muss sie weiter mit anderen Frauen sinnlose Zwangsarbeit leisten – etwa mit der Hand einen Deich aufschütten – den „Deich der Witwen“. Denise und ihr Sohn überleben wie durch ein Wunder. Beim dem Sturz der Pol-Pot-Herrschaft durch die Vietnamesen wiegt sie gerade noch 35 Kilogramm.

In Kambodscha begann kürzlich das Völkermordtribunal gegen führende Köpfe des Regimes der Roten Khmer. Gut, dass Denise Affonços Buch gerade jetzt in deutscher Sprache erschienen ist. Es bietet eine der besten Schilderungen des Alltags in jener Zeit.

Literaturangaben:
AFFONÇO, DENISE: Der Deich der Witwen. Aus dem Französischen von Judith Klein. C.H.Beck, München 2009. 207 S., 18,90 €

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