FRANKFURT AM MAIN(BLK) – Im März 2011 ist der Debütroman „Strindbergs Stern“ des schwedischen Autors Jan Wallentin im S. Fsicher Verlag erschienen. Antje Rieck-Blankenburg hat ihn ins Deutsche übersetzt.
Klappentext: Ein Tauchgang durch die verschlungenen Schächte einer alten Mine in Falun bringt Unheimliches zutage. Mitten auf einem Stein liegt eine Leiche. Und neben der Leiche ein mysteriöses Kreuz. Ein finsteres uraltes Geheimnis tut sich auf. Nur einige Wenige kennen dieses Kreuz, die Eingeweihten wissen: ein Stern gehört dazu, und Kreuz und Stern bilden zusammen einen magischen Gegenstand, der unendliche Macht verleiht. Doch der Stern ist verschollen. Eine mörderische Jagd beginnt, und alle haben nur ein Ziel – sie wollen den Stern: Don Titleman, tablettensüchtiger Experte für altnordische Mythologie und von seiner dunklen Vergangenheit besessen. Ein deutscher Geheimbund, der sich zu okkulten Riten auf einer Burg trifft. Und die unbändig schöne Hex, die sich in die Computer des europäischen Verkehrssystem hackt. Jeder will der Erste sein. Doch dann wird die Jagd nach dem Stern zur Jagd nach den Jägern ...
Jan Wallentin, 1970 geboren, ist Journalist und arbeitet beim Schwedischen Fernsehen. „Strindbergs Stern“ ist sein erster Roman und hat schon vor Erscheinen international für großes Aufsehen gesorgt. Der Roman wurde bisher in 24 Länder verkauft.
Leseprobe:
©S. Fischer©
Auf dem Waldboden stehend zog er erst seine grünen Gummstiefel und dann die Camouflagehosen und die Windjacke aus. Mit lauter kleinem Getier im Gesicht und am Hals öffnete er die letzte Tasche. Unter dem Tauchcomputer und der Stirnlampe warteten die einteilige weiche Kälteschutzkleidung und die gummiartige Haut des Trockenanzugs. Schwarz glänzendes Laminat in drei Schichten, speziell entwickelt für Tauchgänge in vier Grad kaltem Wasser.
Nachdem er den unteren Teil des Anzugs übergezogen hatte, beugte er sich vor und streifte die mit Gummi verstärkten Tauchschuhe über die Fersen. Mit einer Grimasse richtete er sich wieder auf und schob erst die linke, dann die rechte Hand durch die Latexmanschetten. Er zog den Anzug vollständig an und schließlich die Neoprenhaube über den Kopf. Jetzt konnten die Fliegen nur noch an seine Augen und den oberen Teil seiner Wangen gelangen.
Er nahm den Sack zur Hand, der die Schwimmflossen und die Tauchmaske beinhaltete. An der Öffnung des Schachts brachte ihn der ekelhafte Gestank nach verfaulten Eiern beinahe dazu, es sich anders zu überlegen, doch dann hakte er den Sack an einem Nylonseil ein und begann ihn herunterzulassen. Gute vierzig, fünfzig Meter – so weit konnte er die holprige Fahrt mit dem Blick verfolgen –, doch die Leine lief immer weiter hinab. Erst nach mehreren Minuten erreichte sie die Oberfläche des Wassers, das den unteren Teil des Grubenlochs füllte.
Er sicherte das Seilende mit ein paar Windungen um einen Steinblock und machte sich dann auf den Weg, um den Packen mit Kletterausrüstung und Haken zu holen. Wieder zurück am Schacht, kniete er sich auf den Boden. Ein schrilles Aufheulen des Schlagbohrers durchbrach schließlich die Stille, und bald konnte er die erste Schraube anbringen. Zog sie an – sie würde halten. Dann heulte der Bohrer erneut auf, um Sicherung Nummer zwei in Angriff zu nehmen.
Als er fertig war, hob er das Fünfzigkilopaket mit den Sauerstoffflaschen, der Tarierweste und den Schläuchen an. Nach all den Trainingseinheiten zu Hause waren seine Beine muskulös, doch unter der Last der Stahlzylinder gerieten sie leicht ins Schwanken. Schließlich zurrte er die Gurte seines Klettergeschirrs vor dem Brustkorb fest und testete das automatisch einrastende Bremsgerät, das die Geschwindigkeit beim Abseilen in den Schacht regulieren sollte. Dann hievte sich Erik Hall über die Kante, und die Bremse gab ein zischendes Geräusch von sich, als er hinabsank.
Wenn man im Internet danach suchte, konnte man verschwommene Bilder der Urban explorers in Los Angeles finden, die sich ohne Karte Kilometer für Kilometer durch klaustrophobische Abwassersysteme hindurchzwängten. Man konnte auch Texte von Italienern finden, die ihre Zeit damit verbrachten, in antiken Katakomben zwischen Ratten und Müll herumzukriechen, und Russen, die von Expeditionen zu längst vergessenen Gefängnissen aus der Sowjetära in Hunderten von Metern unter der Erdoberfläche berichteten. Aus Schweden kamen Filmsequenzen, die verfallene Bergwerksschächte zeigten, in denen Taucher in tiefschwarzem Wasser schwammen. Sie bewegten sich geduckt in Tunneln vorwärts, die endlos lang zu sein schienen.
Eine Gruppe nannte sich Baggbodykare und tauchte außerhalb von Borlänge. Dann waren da noch Gruf in Gävle, Wärmland Underground in Karlstad und diverse Vereinigungen in Bergslagen und Umeå. Und außer ihnen gab es noch solche wie Erik Hall, die auf eigene Faust tauchten und auch am liebsten für sich bleiben wollten. Das war nicht gerade empfehlenswert, aber es geschah dennoch.
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Da sie im Hinblick auf Ausrüstung und Gangsysteme, deren nähere Inspektion lohnte, untereinander Tipps austauschten, kannten alle Grubentaucher des Landes einander. Jahrein, jahraus waren es dieselben Leute. Na ja, Leute … es hatte sich bisher ausnahmslos um Männer gehandelt.
Doch vor ungefähr einem Monat hatte eine Gruppe Mädels damit begonnen, Fotos von ihren Grubentauchgängen ins Netz zu stellen. Sie nannten sich Dykedivers. Keiner schien zu wissen, woher sie kamen, oder wer sie eigentlich waren, und sie selber antworteten nicht auf Fragen. Jedenfalls nicht auf die Fragen, die Erik ihnen probeweise gemailt hatte.
Als er anfänglich auf der Website der Mädels herumgesurft war, hatte er nur vereinzelte unscharfe Fotos gefunden. Doch dann hatten sie Filme über recht professionelle Tauchgänge präsentiert, und gestern war plötzlich ein Schnappschuss aus einem Bergwerk in Dalarna aufgetaucht.
Das Bild zeigte zwei Frauen in Taucheranzügen in einem engen Grubenstollen: blasse Wangen, blutrote Münder, und beiden wallte ihr schwarz glänzendes Haar offen über die Schultern herab. An die Wand hinter sich hatten sie mit blauer Farbe gesprayt: „2. September, 166 Meter Tiefe“.
Unter dem Foto hatten die Mädels einige GPS-Koordinaten angegeben, die einem Ort in der Nähe des Kupferbergwerks in Falun entsprachen. Die Position hatte nur wenige Meilen von Erik Halls Sommerhaus entfernt gelegen:
Überschwemmter Schacht aus dem 18. Jahrhundert, den wir hier fanden/kopparberget1786.jpg/Karte, Blessing, Archiv des Verwaltungsbezirks Falun. Hinter dem Schrott im Wasser erstreckt sich ein Gangsystem – für denjenigen, der es schafft, daran vorbeizukommen.
No country for old men.
©S. Fischer©
Literaturangabe:
WALLENTIN, JAN:Strindbergs Stern. Aus dem Schwedischen von Antje Rieck-Blankenburg. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 512 S. 19,95 €.
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