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Jens Glüsings „Das Guayana-Projekt“

Jens Glüsings Buch „Das Guayana-Projekt“ erhellt einen wenig bekannten Aspekt deutscher Geschichte in Südamerika

© Die Berliner Literaturkritik, 19.12.08

 

Von Klaus Blume

Der Amazonas hat seit jeher die Fantasie der Europäer belebt. Die ersten Entdecker erblickten an seinen Ufern kampfeslustige Frauen (Amazonen), die dem Strom den Namen gaben. Später zogen Abenteurer auf der Suche nach dem Goldland El Dorado durch die Urwaldhölle. Eher wissenschaftlichen Zwecken diente eine Exkursion, die der deutsche Zoologe Otto Schulz-Kampfhenkel von 1935 bis 1937 in die nordöstliche Ecke Brasiliens unternahm. Doch ihn trieb auch geopolitischer Ehrgeiz: Der Nationalsozialist suchte nach einem Brückenkopf für das Deutsche Reich in Südamerika.

Auf den Spuren des Forschers und späteren SS-Offiziers Schulz-Kampfhenkel hat jetzt der Journalist Jens Glüsing den Regenwald durchstreift und Archive durchforstet. In „Das Guayana-Projekt“ rekonstruiert der seit 17 Jahren in Brasilien lebende „Spiegel“-Korrespondent die Exkursion Schulz-Kampfhenkels. Er stützt sich dabei auf den Original-Expeditionsbericht sowie auf Archivdokumente aus Brasilien, Deutschland und den USA. Darunter sind auch erst vor kurzem freigegebene Verhörprotokolle der Amerikaner, die Schulz-Kampfhenkel nach dem Krieg gefangen genommen hatten.

Schulz-Kampfhenkel war eine Abenteurernatur, „ein vom Fernweh getriebener Tausendsassa“, wie Glüsing schreibt. Gerade mal 25 Jahre alt ging er in Brasilien an Land. Mit Booten fuhr er den Amazonas-Nebenfluss Jary hinauf, verbrachte viele Monate im Dschungel unter Indianern und gelangte schließlich bis in die Nähe der Grenze zu Französisch-Guayana. Mit ausgestopften Tapiren, Jaguaren und Affen im Gepäck, mit reichlich indianischen Pfeilen, Flöten und Geräten und schließlich wertvollen Luftaufnahmen und Kartenmaterial kehrte der Forscher 1937 nach Berlin zurück.

Dort ließ sich Schulz-Kampfhenkel als Bezwinger der „grünen Hölle“ feiern und schlachtete seine Erlebnisse in Buch und Film aus. Drei Jahre später empfahl er dem SS-Chef Heinrich Himmler in einem Gutachten das „Guayana-Projekt“. Ein deutsches Expeditionskorps sollte demnach im Nordosten Brasiliens landen und von dort aus unter tatkräftiger Hilfe der Indianer die französischen, niederländischen und britischen Kolonialgebiete in Guayana erobern. Ein deutscher Brückenkopf in Südamerika, so Schulz-Kampfhenkel, würde dem Einfluss der USA in der Region entgegenwirken. Außerdem empfahl er den Subkontinent als Siedlungsgebiet für ein „nordisches Herrenvolk“.

Himmler legte das Projekt allerdings erst einmal auf Eis. Während des Zweiten Weltkriegs war Schulz-Kampfhenkel an verschiedenen Fronten in Afrika und Europa mit geografischen Forschungen betraut. Nach Kriegsende diente er sich den Siegern an und beschrieb seinen amerikanischen Bewachern detailliert die von ihm entwickelten Verfahren zur Kartenherstellung. In der Bundesrepublik arbeitete er als Dokumentarfilmer, gründete ein Institut und übertrug später sein Vermögen einer nach ihm benannten Stiftung. Er starb 1989.

Es ist Glüsings Verdienst, einen wenig bekannten Aspekt deutscher Geschichte in Südamerika zu erhellen. Darüber hinaus bietet er ein aktuelles Porträt der Amazonas-Region mit dem von Zersiedlung und Abholzung bedrohten Regenwald. Gemeinsam mit dem deutschstämmigen Förster Christoph Jaster besuchte er den Tumucumaque-Nationalpark im Bundesstaat Amapá mit seinen bis zu 50 Meter hohen Urwaldriesen, gigantischen Farnen - und heimtückischen Mücken.

Während Amazonien für die Europäer immer ein Projektionsraum für ihre Sehnsüchte gewesen sei, hätten die Brasilianer ein nüchterneres Verhältnis zu ihrem Norden, schreibt Glüsing. Sie schätzten das Amazonasgebiet vor allem als schier unerschöpfliches Rohstofflager. Die Zerstörung des Amazonasgebietes habe sich wieder beschleunigt. Es bleibe die Aufgabe eines neuen, friedlichen „Guayana-Projektes“, die letzten Naturparadiese grenzüberschreitend zu retten.

Literaturangaben:
GLÜSING, JENS: Das Guayana-Projekt. Ein deutsches Abenteuer am Amazonas. Ch. Links Verlag, Berlin 2008. 239 S., 19,90 €.

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