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Jenseits von Mythen und Legenden

Joachim Castans Biografie über den berühmtesten Jagdflieger des Ersten Weltkriegs – Manfred von Richthofen

© Die Berliner Literaturkritik, 09.04.08

 

STUTTGART (BLK) – Im Klett-Cotta Verlag ist die Biografie „Der Rote Baron“ von Joachim Castan erschienen.

Klappentext: Manfred von Richthofen (1892 –1918) ist als der berühmteste Jagdflieger des Ersten Weltkriegs ein Begriff in der deutschen Geschichte. Das Buch erzählt die bislang unbekannte wahre Geschichte – jenseits gängiger Mythen und Legenden. Man glaubt den „Roten Baron“ zu kennen, wenn man dessen Autobiografie gelesen und Kinospielfilme über ihn gesehen hat. Doch was steckt wirklich hinter der strahlenden Fassade des schon zu Lebzeiten umjubelten Kriegshelden?

In seinem spannend erzählten Buch zeigt der Autor, was sich hinter der Legende Richthofen wirklich verbirgt und wie der Mythos bis heute nachwirkt. Aufgrund bisher unbekannter Quellen aus dem Familienbesitz entsteht ein Panorama, das neben dem Helden auch den Menschen zeigt. Eingebettet ist Richthofens Lebensgeschichte in den Horizont der Strategien des Ersten Weltkriegs. Was hielten der deutsche Kaiser Wilhelm II. und der Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg von ihrem deutschen „Vorzeigehelden“? Welche Wirkung hatte der gut aussehende Jungheld auf die Frauen seiner Zeit? Zudem erfährt man aufschlussreiche Details zur damaligen Flugzeug- und Waffentechnik. Was bedeutete der „Kult“ um Richthofen im „Dritten Reich“? Um Richthofens Abschuss am 21. April 1918 ranken sich bis heute zahlreiche Legenden. Wie kam er wirklich ums Leben?

Joachim Castan, Dr. Dr., wurde 1966 geboren; er ist Historiker und Dokumentarfilmer. Er studierte Geschichte und angewandte Literaturwissenschaften an der Universität Osnabrück und promovierte in den Fächern Geschichte und Medienwissenschaft. Seit 1998 ist er Autor und historischer Berater bei Fernsehredaktionen, seit 2000 gestaltet er die Konzeption und Realisierung historischer Ausstellungen. Seit 2003 führt der Autor auch Regie in eigenen Fernsehdokumentationen. (mik/wip)

 

Leseprobe:

© Klett-Cotta Verlag ©

9. Kapitel

MIT HÖCHSTLEISTUNG IN DEN UNTERGANG, 1918

Der Waffenstillstand an der Ostfront, bedingt durch die andauernden Verhandlungen von Brest-Litowsk, die Richthofen hautnah miterlebt hatte, zeigte im Frühjahr 1918 seine ersten Früchte: Durch das vorläufige Ausscheiden Sowjetrußlands aus dem Kriegsgeschehen wurde es der deutschen Heeresleitung ermöglicht, mehr als eine Million Soldaten von der Ostfront an die Westfront zu verlegen. Dadurch war die Westfront entscheidend entlastet. Trotzdem blieb die Lage fatal: unmittelbar nach dieser deutschen Truppenverlegung marschierten große Kontingente von australischen und US-amerikanischen Truppenkontingenten an die Westfront. Was sich die deutsche Heeresleitung auch strategisch überlegte: es konnte keine nachhaltige Lösung gefunden werden, wie die deutsche Seite aus der Defensivlage der Siegfriedlinie wieder herauskam.

Nüchtern betrachtet, hätte die Oberste Heeresleitung sich spätestens im Frühjahr 1918 um einen umfassenden Waffenstillstand kümmern müssen, wenigstens um das zu retten, was noch zu retten ist. Irgendwelche Aussichten auf einen Sieg der Mittelmächte waren objektiv gesehen utopisch. Fatal war, daß Ludendorff und Hindenburg diese Realität nicht wahrhaben wollten und einen nicht mehr zu gewinnenden Krieg unbeirrt weiterführten. Ihr Kaiser ließ sie gewähren und wurde mit Fragen von Krieg oder Nichtkrieg gar nicht mehr „behelligt“.

Der „oberste Kriegsherr“ Kaiser Wilhelm der Zweite lebte inzwischen in einer Traumwelt bar jeder kriegerischen Realität. Es war zwischenzeitlich sogar fast unmöglich geworden, dem Kaiser selbst schonend überhaupt irgendwelche negativen Nachrichten beizubringen. Der österreichische Außenminister Graf Czernin dazu: „In den Jahren 1917 und 1918, in welchen ich amtlich mit Kaiser Wilhelm zu tun hatte, war seine Scheu vor unangenehmen Erörterungen so stark, daß es oft die größten Schwierigkeiten machte, das Notwendigste an den Mann zu bringen.“ (1) Eine Kriegführung, die die Augen vor der Realität der Kriegslage verschloß und – noch schlimmer – wissentlich ignorierte, mußte ein Land im Kriegszustand unweigerlich in eine katastrophale Niederlage führen.

Die Millionen deutscher Soldaten, die ihren Dienst patriotisch pflichtbewußt in Schützengräben- und Stellungssystemen versahen, welche von der Nordsee bis zur Schweizer Grenze reichten, waren die Statisten eines Theaters von militärischen Regisseuren, die nicht wußten, wie ihr Stück eigentlich weitergehen oder enden sollte. Das Vegetieren und Sterben in diesen Gräben wurde durch das Nichteingestehen der deutschen Führung, daß dieser Krieg unabweislich verloren war, lähmend in die Länge gezogen. Richthofen und sein Geschwader bildeten die elitäre Spitze einer letztendlich sinnlosen Aufopferung für ein kopfwie konzeptionsloses „Vaterland“.

Jeder im Reich ahnte im Frühjahr 1918, daß sich alles in innerer Auflösung und im Umbruch befand – sei es an der Front, sei es in der Heimat. Die deutschnationale Monarchistin Kunigunde von Richthofen charakteristierte die damalige Stimmung folgendermaßen: „Eine böse, nervenfressende Zeit. Heldentum, Verzweiflung – Vorbild und Zerfall in traurigem Gemisch. Wo ist der Ausweg? Wie ist das Ende? Wo ist der Mann, der jetzt noch einmal alle Herzen zusammen- und aufwärts reißt? In den Fabriken schwelt das Streikgespenst. Revolten – Belagerungszustand – Mob und Meute – demolierte Geschäfte – nachts knallt es aus den Torwinkeln. Die letzten Freiwilligen ziehen ins Feld. Deutschland Deutschland über alles.“ (2)

Für den März 1918 entschloß sich die Oberste Heeresleitung zur großen Frühjahrsoffensive. In einem großem Aufbäumen wollte man durch einen letzten Befreiungsschlag endlich aus dieser für die deutsche Seite hoffnungslosen Situation wieder herauskommen. So waren alle Hoffnungen auf diese große Märzoffensive gerichtet. Deren Vorbereitung sollte möglichst im verborgenen geschehen, damit sich der Feind nicht darauf einstellen konnte. Um eine entsprechend große Schlagkraft zu konzentrieren, wurden drei Armeen mobilisiert und für die Angriffsvorbereitungen zusammengezogen. Insgesamt wurden weitgehend verdeckt 64 Divisionen, 950 Feldbatterien, 701 schwere Batterien und 55 schwerste Batterien in Stellung gebracht.

Am 9. März 1918 trat Lothar von Richthofen wieder seinen Dienst im Jagdgeschwader an, sein Bruder Manfred war ab dem 10. März 1918 wieder an der Front und übernahm erneut das Kommando über sein Geschwader. Schon am 11. März wurde sein Bruder abgeschossen – konnte den Abschuß aber überleben. Richthofen erlebte nun beim eigenen Bruder, was auch ihm ständig bevorstehen konnte. Daß er selbst noch einmal einen Abschuß überleben könnte, war nach menschlichem Ermessen eher unwahrscheinlich. Im März 1918 fühlte er sich weder zuversichtlich noch „unverletzbar“. Mit großem Ernst übergab er am 15. März seinem Adjutanten Bodenschatz wortlos einen versiegelten Umschlag mit der Aufschrift: „Wenn ich nicht wiederkomme, öffnen.“ (3) Den darin befindlichen Zettel hatte er bereits am 10. März geschrieben: „Sollte ich nicht zurück kommen, so soll Oberl.[eutnant] Reinhard (Jasta 6) die Führung des Geschwaders übernehmen.“ (4)

Je aussichtsloser die militärische Lage wurde, desto häufiger wurde Richthofen bei der demoralisierten Armee als „Propagandawaffe“ eingesetzt. „Manfred wird von den Truppen vergöttert. Wo er auftaucht, geht ein neuer Zug von Ordnung, Vertrauen und Sicherheit über die Erde und durch die Lüfte.“ (5) Dieser Optimismus, den Richthofen unter den Soldaten verbreiten sollte, stand im krassen Gegensatz zu dem, wie es inzwischen in ihm innerlich aussah.

Richthofens Jagdgeschwader besaß bei der Vorbereitung der Märzoffensive eine zentrale Schlüsselposition innerhalb der strategischen Planung: Die Aufgabe bestand darin, die Engländer an jeder Form der Aufklärung zu hindern. Die deutschen Armee-Einheiten sollten unbehelligt von jeder Luftaufklärung sich zur allumfassenden Märzoffensive formieren können. Diese Aufgabe wurde von Richthofens Geschwader bestens erfüllt. Wie dieser heimliche Aufmarsch von drei Armeen konkret aussah, beschrieb Bodenschatz recht anschaulich:

Seit acht Tagen wird südwestlich von Cambrai, in Awoingt, ein Gefechtslandeplatz vorbereitet. Nacht und Nacht fliegen Schaufeln, rollen Lastwagen, wimmeln dunkle, fleißige Gestalten. Wenn das erste Morgengrauen über der Frühlingslandschaft heraufkriecht, verschwindet alles, was lebt, in den Erdlöchern, in den Unterständen, unter den Zeltbahnen, […]. Kam wirklich ein neugieriger Engländer einige tausend Meter hoch heran und sah herunter, so konnte er einen unbelegten Flugplatz sehen, weiter nichts, keine Maschinen, keine Menschen, nichts. Und wenn er am anderen Tage wiederkam, hatte sich nichts verändert. Er konnte nicht wissen, mit welchem Bienenfleiß hier in der Nacht geschuftet wurde. Sie konnten drüben nicht einmal ahnen, daß in jeder Nacht auf einer Breite von 70 Kilometern Kolonnen ohne Zahl anmarschierten, Geschütze ohne Zahl eingebaut wurden, daß bei Taschenlampen, die nur für Sekunden heimlich aufblitzten, eine Angriffsarmee sich zurechtstellte.“ (6)

Wie ein Luftkrieg zu führen ist, hatte sich zwischen 1915 und 1918 mehrfach grundlegend geändert: Wurden 1915 Luftkämpfe – wenn sie überhaupt stattfanden – noch in Duellmanier mit Pistolen und anderen Handfeuerwaffen ausgetragen, schuf das synchronisierte Maschinengewehr eine Art Wettbewerb von Einzelfliegern, möglichst viele Abschüsse zu verbuchen. 1918 befand sich die deutsche Jagdfliegerei zahlenmäßig in der totalen Unterlegenheit. Deutsche Einzelkämpfer hatten damit alleine in der Luft kaum noch eine Chance. Die Lösung dieses Problems bestand in einer abgestimmten Geschwadertaktik.

Wie sah nun Richthofens Geschwadertaktik im Vorfeld dieser Märzoffensive konkret aus? Beispielhaft sei hier ein Kampftag, der 18. März 1918, herausgegriffen:

Die Engländer vermuten, daß die deutsche Seite eine umfassend angelegte Offensive plant. Um endlich zu wissen, was sich hinter den deutschen Linien wirklich zusammenbraut, werden starke Aufklärungsgeschwader aufgestellt, die auf Biegen und Brechen die deutschen Vorbereitungen erkunden sollen. Richthofen hat den Auftrag, diese Aufklärung unter allen Umständen zu verhindern. Per Funk erhält er seinen Einsatzbefehl. Richthofen steigt mit seiner bis dahin größten Luftarmada auf. Insgesamt 30 Maschinen fliegen in geschlossener Formation. Angeführt wird die Streitkraft von Richthofens rotem Dreidekker. Die Formation fliegt in 5300 Metern Höhe – auf der Suche nach Beute. Links von Richthofen fliegen in 500 Metern Entfernung elf Maschinen der Jagdstaffel 6, erkennbar an den schwarzen und weißen Streifen am Flugzeug. Piloten der Jagdstaffel 11 – ihre Maschinen rot angemalt wie ihr Anführer – fliegen unmittelbar hinter ihm. Die restlichen Flugzeuge gehören der Jasta 10 an, erkennbar an ihren gelben Markierungen. Sie fliegen rechts von ihm. Das deutsche Geschwader operiert in einer genau definierten Ordnung. Plötzlich geht alles sehr schnell:

Das deutsche Geschwader trifft in 5500 Metern Höhe über dem Dorf Le Catelet, 15 km nördlich von St. Quentin, auf ein in einem Rechteck fliegendes Geschwader von englischen Zweisitzern. Richthofen eröffnet sofort das Feuer. Zusammen mit Leutnant Gussmann von der Jasta 11 wirft er sich auf das letzte, etwas abseitige Flugzeug der Gruppe. Die Tragflächen brechen weg. Gussmann setzt trotzdem noch einmal nach und sieht das Flugzeug in Joncourt abstürzen. Danach wird sofort wieder in 5300 Metern Höhe die Geschwaderformation eingenommen. Das englische Geschwader hat sich inzwischen geteilt und versucht, zu seinen Linien zu entkommen. Zusammen mit Leutnant Loewenhardt nimmt Richthofen das nächste Ziel ins Visier – ebenfalls eine Bristol. Nach Richthofens MG-Salven stürzt der Engländer senkrecht in die Tiefe, der Benzintank ist getroffen, und das Flugzeug zerplatzt in der Luft.

Währenddessen greifen englische Einsitzer das Geschwader an. Genau in diesem Moment stoßen einzelne Flugzeuge der Jagdstaffel 2 hinzu, darunter auch Angehörige der Jagdstaffel 5. Sie nähern sich in einer säuberlich ausgerichteten Dreiecksformation dem Kampfgeschehen. Ein wildes Schießen und Durcheinander entsteht. Jeder versucht, seinem Gegner so nahe wie möglich zu kommen, um dann aus möglichst kurzer Distanz seine tödlichen Salven abzufeuern. Die Luft ist voll mit den Leuchtspuren der Phosphormunition. Die Luftkämpfe finden in einer Höhe von lediglich 1000 Metern statt. Die Kurbelei dauert über 25 Minuten. Richthofen klemmt sich hinter eine Sopwith Camel, schießt diese aber nicht ab. Statt dessen kreist er wie ein Raubvogel über ihr und zwingt sie zur Landung.

Der Engländer landet schließlich auf der Straße zwischen Molain und Vaux-Andigny. Erst später wird klar, daß der Propeller zerschossen ist. Der Pilot ist der 28jährige Second Lieutenant William G. Ivamy, der stolze 66 Abschüsse verzeichnen kann. Er ist leicht verwundet, klettert behäbig aus der Maschine und wird von deutschen Bodentruppen gefangengenommen. Kurz darauf landet Richthofen mit seinem Fokker-Dreidecker, um sich aus der feindlichen Maschine die Kennummern herauszuschneiden. Am Himmel sind die Engländer in die Flucht geschlagen. An diesem Tage traut sich kein Engländer mehr, die deutschen Linien zu überqueren.

Das Ergebnis der Luftschlacht: Mehr als 100 Flugzeuge waren an diesem Luftkampf beteiligt – einer der größten Luftkämpfe des Ersten Weltkriegs. Die Engländer verloren 15 Flugzeuge – die Deutschen lediglich eines. (7) Bodenschatz notierte im Kriegstagebuch: „Nur im großen Verbande war es möglich, die zahlreichen, starken englischen Geschwader erfolgreich zu bekämpfen.“ (8)

Richthofens abgestimmte Geschwadertaktik läßt sich wie folgt charakterisieren: Im Geschwader stieg man auf. Im Geschwader suchte man den Feindkontakt. War der Feind erkannt, stieß man auf ihn herab. Dabei wurde – wie im Tierreich – meist zunächst das schwächste Glied aus der angegriffenen Herde massiv unter Beschuß genommen. Richthofen oder andere erfahrene Piloten nahmen sich jeweils ein gegnerisches Flugzeug vor und blieben unerbittlich „dran“ – so lange bis es möglichst brennend abstürzte. Anfänger in Richthofens Geschwader sollten diese Taktik erst einmal aus der Position des „Feuerschutz- Gebers“ kennenlernen – noch nicht durch unüberlegte, eigene Einzelaktionen. […]

 

Anmerkungen:

1 Czernin [1919], S. 75.

2 Kunigunde von Richthofen im März 1918, zitiert nach Kunigunde von Richthofen [1937], S. 154.

3 Richthofen am 15. März 1918, zitiert nach Bodenschatz [1935], S. 70.

4 Richthofen am 10. März 1918, zitiert nach Italiaander [1938], S. 104, Faksimile abgedruckt bei Carisella [1976], S. 232.

5 Kunigunde von Richthofen vor dem 12. März 1918, zitiert nach Kunigunde von Richthofen [1937], S. 155.

6 Bodenschatz [1935], S. 71.

7 Vgl. Bodenschatz [1935], S. 66 – 70, 171 – 172, Kilduff [1997], S. 14 – 17.

8 Tagebuch JG 1 am 18. März 1918, zitiert nach Bodenschatz [1935], S. 172.

© Klett-Cotta Verlag ©

Literaturangaben:
CASTAN, JOACHIM: Der Rote Baron. Die ganze Geschichte des Manfred von Richthofen. Klett-Cotta, Stuttgart 2008. 360 S., 24,50 €.

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